Rede von Joachim Schramm zum 70. Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima.
Köln, Aachener Weiher, 5. 8. 2015
Joachim Schramm, Landesgeschäftsführer der DFG-VK NRW
Der ehemalige Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer sprach in den 50er Jahren – er war inzwischen Bundeskanzler – davon, die Atomwaffe sei doch nur eine Weiterentwicklung der Artillerie. Dies ist eines der herausragenden Beispiel dafür, wie die schreckliche Wirkung der Atomwaffen bis heute verharmlost wird, um so ihre Existenz zu rechtfertigen. Doch die Atombombe ist keine Waffe wie jede andere. Mit dem Abwurf der Atombombe auf Hiroshima und Nagasaki ist die Menschheit in eine Phase eingetreten, in der sie sich selbst vernichten kann.
Viele von uns kennen die Zahlen, kennen die Fakten. Doch es ist notwendig, sie immer erneut ins Gedächtnis zu rufen. Als am 6. August 1945 um 8:15 Uhr die Bombe über Hiroshima gezündet wurde, waren im Umkreis von einem halben Kilometer 90% aller Menschen sofort tot. Für kurze Zeit herrschten dort Temperaturen von bis zu 5000 Grad Celsius, alles verdampfte, auch die Menschen, von denen nur noch ein Schatten auf Stein übrig blieb. Eine enorme Druckwelle verwüstete die Stadt, Feuerstürme wurden entfacht. Am ersten Tag starben in Hiroshima mindestens 45.000 Menschen. Die Opferzahlen sind bis heute umstritten, denn erst ab 1950 wurde ein Opferregister eingeführt. Man schätzt die Zahl der
Menschen in Hiroshima und Nagasaki, die in den ersten Monaten nach den Abwürfen starben, auf mindestes 200.000. Es gibt aber auch deutlich höhere Schätzungen. Und die Opfer der Bombe starben noch Jahrzehnte danach, an Krebs und anderen, durch die radioaktive Strahlung ausgelösten Krankheiten.
Die USA rechtfertigen sich bis heute damit für die Bombenabwürfe, dass damit der Krieg im Pazifik rascher beendet wurde und so weitere Opfer vermieden wurden. Doch die historischen Umstände legen den Verdacht nahe, dass die Opfer von Hiroshima und Nagasaki die ersten Opfer des Kalten Krieges waren. Die Sowjetunion stand kurz vor dem Eintritt in den Krieg gegen Japan und vieles weist darauf hin, dass die USA dies verhindern wollten, um mögliche Gebietsansprüche der Sowjetunion gegen Japan zu verhindern. Aber auch als Drohgebärde gegenüber der Sowjetunion werden die Bombenabwürfe heute gewertet.
Nach Ende des Kalten Krieges atmeten viele Menschen auf und hielten den Schrecken der atomaren Hochrüstung in Ost und West für beendet. Bis heute hält sich auch in bestimmten Kreisen die Behauptung, die Atomwaffe hätte durch die gegenseitige Abschreckung den Frieden gesichert. Doch die Öffnung der Militärarchive in den letzten Jahren hat das Ausmaß der Fehleinschätzungen verschiedener Situationen und der Fehlalarme ans Tageslicht gebracht, die die Menschheit mehrfach an den Rand des atomaren Untergangs geführt hatten.
Zuletzt löste 1995 eine norwegische Forschungsrakete in Russland irrtümlich Atomalarm aus. 1983 hielten sowjetische Militärs ein NATO-Manöver für die Vorbereitung zum Atomschlag und standen kurz vor der Auslösung eines Angriffs. Die Zahl der Unfälle von Atomwaffenträgern ist ebenfalls erschreckend: Allein die USA haben 32 Atomsprengköpfe bei Unfällen verloren, einige liegen noch heute auf dem Meeresgrund oder im arktischen Eis.
Atomwaffen haben nie Sicherheit gebracht, sie sind bis heute die Quelle ständiger Bedrohung der Menschheit. Sie gehören abgeschafft!
Da die Zahl der Atomwaffen nach Ende des Kalten Kriegs auf ein Viertel reduziert wurde und die direkte Konfrontation zwischen den beiden atomaren Hauptmächten UdSSR und USA nicht mehr zu bestehen schien, haben viele Menschen die Gefahr durch die Bombe aus den Augen verloren. Doch in den letzten Monaten ist durch den Ukraine-Konflikt auch die Atomwaffe wieder mehr in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Denn auf beiden Seiten dieses Stellvertreterkonflikts, in Russland und in der NATO, wird mit dem Einsatz vonAtomwaffen gedroht. In diesen Wochen berichtete die NY-Times von einem Manöver-Einsatz des US- Atomwaffen-Bombers B-52 über Litauen. Und wenn wir die Situation während des Kalten Krieges als brandgefährlich ansahen, dann ist es die derzeitige Situation in noch höherem Maße: Im Kalten Krieg bestand ein ausgearbeitet System von Sicherheitsmechanismen und Kommunikationskanälen zwischen Ost und West, die einen Krieg aus Zufall verhindern sollten. Diese Kommunikationswege gibt es heute nicht mehr, spätestens seit Beginn der Ukraine-Krise sind sie gekappt worden.
Die Ukraine-Krise lenkt das Augenmerk auf die Konfrontation zwischen den beiden Haupt-Atommächten. Doch auch der Besitz von Atomwaffen in den Händen der beiden verfeindeten Staaten Indien und Pakistan, die Atomwaffen Israels in einer der Hauptkonfliktzonen der Welt oder die Atomwaffen in Nordkorea bieten Anlass zur Sorge und zur Bestätigung der Forderungen, dass wir die Atomwaffen abschaffen müssen. Mit dem Atomwaffensperrvertrag von 1970 sollte die Zahl der Atommächte auf fünf begrenzt werden und diese fünf sich verpflichten, ihre Waffen abzurüsten. Diese Begrenzung hat nicht funktioniert und die atomare Abrüstung lässt bis heute auf sich warten. Daher haben mehrere Staaten seit 2010 an einer „Humanitären initiative zur Abschaffung der Atomwaffen“ gearbeitet. Sie wollen die erstarrten Fronten innerhalb des Sperrvertrages überwinden, in denen vor allem die jeweiligen Sicherheitsbedenken der Atomstaaten im Vordergrund steht. Stattdessen wollen sie auf die schrecklichen humanitären Folgen eines Atomwaffeneinsatzes abheben und daher das weltweite Verbot der Atomwaffen vereinbaren, so wie es z.B. bei den Landminen der Fall ist. In diesem Jahr hat Österreich sich an die Spitze dieser Initiative gestellt und sich verpflichtet,
dieses Verbot der Atomwaffen juristisch anzugehen. Über 100 Staaten haben sich bereits dieser Selbstverpflichtung angeschlossen. Wir fordern hier aus Anlas des 70 Jahrestages des Atombombenabwurf auf Hiroshima unsere Bundesregierung auf, sich dieser österreichischen Initiative anzuschließen und aktiv auf das Verbot der Atomwaffen hinzuarbeiten!
Doch noch nimmt unsere Regierung leider eine andere Position ein. Und dies betrifft besonders auch uns hier in NRW. In Büchel in der Eifel, nur wenige zig Kilometer jenseits der Landesgrenze, sind 20 Atombomben der USA auf einem Bundeswehr-Luftwaffenstützpunkt stationiert, die von deutschen Tornado-Piloten ins Ziel getragen werden sollen. In Kleine Brogel in Belgien und in Volkel in den Niederlanden sind ebenfalls jeweils 20 dieser Bomben stationiert. Zusammen haben sie eine Sprengkraft von bis zu 1000 Hiroshima-Bomben. Seit mehreren Jahren arbeiten die USA an der Modernisierung dieser Waffen. Und mit dem Ukraine-Konflikt, in dessen Zusammenhang vom Einsatz solcher taktischen Atomwaffen gesprochen wird, bekommt dieses Drohpotential entlang unserer Landesgrenzen eine hochbrisante Bedeutung. Wir sagen: es ist genug, wir wollen diese Waffen weghaben!
Seit Jahren protestiert die Friedensbewegung immer wieder in Büchel, so wie wir es am Ende unserer Fahrradtour am Sonntag auch tun werden. Und 2010 hat der Bundestag einstimmig die Bundesregierung aufgefordert, sich für einen Abzug dieser US-Waffen stark zu machen. Doch ganz im Gegenteil hat die Bundesregierung 2013 auf der NATO-Tagung in Chicago dieser Modernisierung zugestimmt. Das nenne ich einen Skandal!
Aus Anlass des 70. Jahrestages der Bombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki fordern Friedensaktivisten aus der ganzen Bundesrepublik in einem offenen Brief an Kanzlerin Merkel, sich für eine Unterstützung der österreichischen Verbotsinitiative einzusetzen und sich innerhalb de NATO gegen die Modernisierung der Atomwaffen stark zu machen sowie den Abzug der Bomben aus Büchel einzufordern. Wir werden keine Ruhe geben und weiterhin gegen die schreckliche Bedrohung durch die Atomwaffen angehen. Dabei wissen wir Millionen Menschen in aller Welt an unserer Seite, die wie wir in diesen Tagen rund um die Hiroshima und Nagasaki – Jahrstage fordern:
Atomwaffen abschaffen – jetzt!