Robert Hülsbusch: „Wer Frieden fordert, meint noch lange nicht Frieden!“

Eine persönliche Bemerkung zur Friedenspreisverleihung des Deutschen Buchhandels 2024

Von Robert Hülsbusch.

Frankfurt, den 20.10.2024 – morgens in der Paulskirche. Alle Honoratioren haben sich versammelt. Der renommierte Friedenspreis des Deutschen Buchhandels wird verliehen – an
die US-amerikanische-polnische Schriftstellerin Anne Applebaum. Das war schon heftig. In ihrer Rede – die vorherigen Reden führten schon dahin – sprach Anne Applebaum „Klartext“: Die Pazifisten sind verantwortlich für den Krieg in der Ukraine – so wie sie schon verantwortlich waren für den Zweiten Weltkrieg.

Pazifisten sind objektiv pro-faschistisch,

zitiert sie George Orwell.

 Wenn du die Kriegsanstrengungen der einen Seite untergräbst, dann hilfst du automatisch der anderen.

Und hängt dann noch Manes Sperber, der Friedenspreisträger 1983, an, der gegen „die falsche Moral der Pazifisten jener Zeit“ wetterte. Die wollten Deutschland und Europa trotz der sowjetischen Bedrohung abrüsten. Sperber:

Wer glaubt oder wer glauben machen will, dass ein waffenloses und kapitulierendes Europa für alle Zukunft des Friedens sicher sein kann, der irrt sich und führt andere in die Irre.

Die, die Waffenstillstand und Verhandlungen fordern, sind – Applebaum – „objektiv prorussisch“, die würden – logisch zu Ende gedacht – die Eroberung der Ukraine, ihre kulturelle Zerstörung, die Errichtung von Konzentrationslagern und die Entführung von Kindern aus der Ukraine akzeptieren. Wer also Frieden und Verhandlungen fordert, meint noch lange nicht Frieden, sondern bedient das Narrativ der Autokraten und Kriegstreiber.

Die einzig wahre Alternative – eigentlich „alternativlos“ heißt: Kämpfen, Waffen liefern, den Krieg gegen Russland gewinnen. Fehlte eigentlich nur noch – mit Gottes Hilfe. Auch die Kommentierung der Reden war am Ende klar. Es sei eine „unbequeme“ Rede gewesen. Wer dieser Erzählung nicht folgt, der ist einfach bequem. So wie wir. Die Pazifisten. Ein echter Rückschritt in der ganzen Diskussion. Absolut schwarz/weiß. Die einen wissen, was richtig ist (Waffen, Waffen, Waffen) und sind unbequem, die anderen sind einfach ignorant und dumm und machen es sich schön in ihrer Komfortecke. Und sie sind schuld und machen sich schuldig. Wie immer schon.

Gemessen an der Theorie der Gewaltfreien Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg war und ist die Rede der Friedenspreisträgerin wenig friedlich, eher durchsetzt mit kommunikativer Gewalt. Ich gestehe der US-Autorin einen positiven Punkt zu: Sie beschreibt die Unmenschlichkeit autoritärer Strukturen im Osten – mit vielen Millionen Toten. Den Archipel Gulag hatte auch schon Alexander Solschenizyn 1973 beschrieben, auch von Friedensbewegten intensiv gelesen. Für die Friedensbewegung gilt: Die Menschenrechte sind nicht nur nicht veräußerbar, sondern gelten universell, sind unteilbar. Auch in dieser Hinsicht: Schon 2001, als Putin zum ersten Mal als Russischer Präsident nach Berlin kam, dort vielversprechende und weitreichende Angebote einer eurasischen Kooperation von Lissabon bis Wladiwostok vorlegte, die mit Standing Ovation im Deutschen Bundestag zu recht quittiert wurden, schon damals wiesen Friedensgruppen – so die Friedensinitiative Nottuln in einem Brief an ihre Bundestagsabgeordneten – darauf hin, dass dieser Mann ein Kriegsverbrecher ist. Die FI hatte jahrelang sich für die Kinder von Grosny engagiert, deren Stadt Putin in Schutt und Asche legen ließ.

Dieses „Böse“ in der Welt allerdings nur mit Gewalt und Krieg überwinden zu können, das ist ein großer Irrtum. Die Geschichte zeigt, dass die nun schon Tausende von Jahren andauernde, immer wieder neue Geschichte der militärischen Abschreckung durch Aufrüstung immer wieder fehlschlug. Letztlich führte diese Strategie immer wieder zu Gewaltausbrüchen und furchtbaren Kriegen. Irgendein Rädchen scheint im Gehirn der Menschen ausgehakt zu sein: Immer wieder der neue Versuch und dann der Absturz – und alles wieder von vorne. Und warum das dann alles immer den Bach runtergeht, ist auch schnell ausgemacht: Die Pazifisten sind schuld.

Warum macht man sich nicht mal die Mühe, den Pazifisten zuzuhören, zu verstehen, was Pazifismus meint. Die Friedensinitiative Nottuln hat vor ein paar Jahren eine längere Reihe dazu durchgeführt. Wer mag, kann diese nachverfolgen (https://fi-nottuln.dfg-vk.de/pazifimus/) Aus dieser Veranstaltungsreihe ergeben sich folgende Erkenntnisse:

Pazifismus – das bedeutet:

  • nicht Wegschauen, sondern engagiertes Eingreifen
  • die Erkenntnis, dass Gewalt und Kriegseinsätze und Militär nicht hilfreich und gemessen an ihren Zielen nicht erfolgreich waren und sind („Violence doesn´t work!“)
  • die Ablehnung jeglicher Gewalt und Kriege – nicht einäugig, nicht situationsabhängig
  • die Konzeption und Weiterentwicklung gewaltfreier Lösungsstrategien
  • das Verhandeln mit dem ärgsten Feind, auch mit Verbrechern, mit sogenannten Terroristen
  • die Erkenntnis, dass es Ausnahmesituationen gibt – Völkermord, Verbrechen
  • das Akzeptieren einer Internationalen Polizei unter dem Dach der UN
  • ein umfassender Politikbegriff, umfassendes Verantwortungsbewusstsein – dem Krieg nicht nur die Legimitation, sondern auch die Ursachen entziehen – Entwicklungspolitik, Klimaschutz, Gerechtigkeit, Flüchtlingspolitik, usw.
  • eine persönliche Entscheidung, eine individuelle Lebensphilosophie – Wir können nicht die Welt retten und verändern, sondern nur uns selbst.

Gut zu wissen, dass wir weiter in diesen Fragen auf eine positive Grundstimmung in der Bevölkerung der Bundesrepublik treffen. Wolfram Wette hat in seinem 2016 erschienen Buch „Ernstfall Frieden“ umfangreich die Lehren aus der deutschen Geschichte seit 1914 untersucht und dargestellt. Nach den Erfahrungen der beiden Weltkriege haben sich die Deutschen, so Wette, vom „Schwertglauben“ abgewendet, sind überwiegend friedlich gesinnt und lehnen Krieg und Militarismus ab. Hier gilt es anzuknüpfen, den Gegentendenzen gerade der letzten Jahre zu begegnen, aber auch diese pazifistische Grundstimmung aufzugreifen und Angebote aktiver Friedensarbeit und ‐politik zu machen. Und erst recht nach dem Krieg in der Ukraine ist ein Umdenken in der Sicherheitspolitik dringend nötig, muss Sicherheit noch einmal ganz neu gedacht werden (www.sicherheitneudenken.de).

Was Pazifismus heißt, brachte Eugen Drewermann in seinem 2002 erschienen Buch „Krieg ist Krankheit“ auf den Punkt:

Der Pazifismus ist nicht die Utopie von Blauäugigen und ewig Gestrigen, er war und ist die Antizipation der einzigen Form von Zukunft, die uns Menschen auf dieser Erde beschieden ist. Entweder wir lernen es, in Freiheit den Frieden wirklich zu wollen, oder wir werden uns die Notwendigkeiten des Stillhaltens, des Terrorfriedens, durch permanente Überwachung und durch das Diktat des jeweils Mächtigsten aufzwingen lassen müssen…  Frieden ist in den komplexen Strukturen des Zusammenlebens die Basisvoraussetzung des Überlebens.

Zurück in die Paulskirche: Alle klatschten – Standing Ovation – von Strack-Zimmermann (FDP) bis Claudia Roth (Grüne) und Mike Josef (Frankfurter OB, SPD). Wo war eigentlich die Merz-Opposition? Keiner blieb sitzen. Wir werden uns weiter intensiv mit diesem Krieg auseinandersetzen. Werden Gespräche mit allen Leuten suchen. Hören auch, was hohe Militärs in Deutschland und den USA sagen, was Politiker sagen, die – wie Günter Verheugen als langjähriger EU-Kommissar – wichtige Erfahrungen im Umgang mit Russland und dem Osten gemacht haben, die hilfreich beim Suchen nach Lösungen sein können. Werden uns weiter auf den Weg machen, diesen Krieg zu verstehen – ohne einverstanden zu sein, nach Lösungen für dieses Gemetzel Ausschau halten. Und uns nicht damit hintun, dass es keine Alternativen zu Aufrüstung, Abschreckung und Gewalt gibt. Und wir intervenieren, greifen humanitär ein, helfen den Menschen in der Ukraine und denjenigen, die nach Deutschland flohen, wo es nur geht. Auch den vielen Deserteuren. Sie, die sich an diesen brutalen Kämpfen in den Schützengräben nicht beteiligen wollen, sollen in Deutschland Schutz und Heimat finden – aus der Ukraine, aus Russland, aus Belarus. 

Und dann wird irgendwann der Krieg zu Ende sein – wie immer und in allen Kriegen, wenn fast alles zerstört ist, wenn fast alle jungen Männer verblutet und umgekommen sind – dann setzen sich die Herrschaften aus Politik und die mit Orden hoch dekorierten Generäle an den großen Tisch und verhandeln, fangen da wieder an, wo sie vor dem Krieg aufgehört haben. Und finden plötzlich Lösungen. Nur dass Hunderttausende davon nichts mehr haben. Sie wurden „befreit“ – befreit von ihrem Leben. Nur dass die Häuser und die Infrastruktur der Menschen dann fast komplett zerstört sind – der Rest ist minen- und/oder radioaktiv verseucht.

Und Anne Applebaum kann sich weiter selbst so einen Verhandlungsfrieden nicht vorstellen. Für sie gilt nur eins: Der Sieg muss her. Russland muss besiegt werden. Dass Russland als Atommacht möglicherweise atomare Waffen einsetzt, davon ist nicht die Rede. Wir lassen uns doch nicht einschüchtern. Aber: Die Drohungen werden schärfer – mit der Änderung der russischen atomaren Einsatzkriterien. Und während dessen übt die Nato schon mal den Atomkrieg – zurzeit im Manöver in Europa und auch über der Ostsee – Steadfast Noon. Die Bundeswehr ist mit dabei. Das sind nach Applebaum die Lehren aus dem vergangenen Jahrhundert. Lehren, Ihr Deutsche nicht gerne hört, sagt sie. Spricht und lächelt ins Publikum („Das werdet Ihr noch lernen.“) 

Im Sinne von Günter Kunert:

Über einige Davongekommene (German)

Als der Mensch

Unter den Trümmern

seines

bombardierten Hauses

hervorgezogen wurde,

schüttelte er sich

und sagte:

Nie wieder!

Jedenfalls nicht gleich.

Soweit die diesjährige Friedenspreisverleihung in Frankfurt. Alles ist möglich. Der Sonntagmorgen ist zu Ende. Muss man gesehen haben – jetzt in der Mediathek.


Robert Hülsbusch, Nottuln, 21.10.2024

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