Arzt und Friedensaktivist Ernst Ludwig „Elu“ Iskenius mit dem Siegfried-Pater-Preis ausgezeichnet

Ernst-Ludwig „Elu“ Iskenius (IPPNW) bei einem Vortrag am 4.3.2017 im Friedensbildungswerk Köln. Foto: Stefanie Intveen.

Der Arzt und Friedensaktivist Ernst Ludwig „Elu“ Iskenius erhielt am 22. Oktober 2023 den Siegfried-Pater-Preis. Elu ist unserer Kölner DFG-VK-Gruppe von gemeinsamen Kundgebungen und Aktionen Zivilen Ungehorsams in Büchel (Eifel) bekannt, mit denen wir mehrfach auf die illegal in Deutschland befindlichen US-Atombomben aufmerksam gemacht haben. Wir gratulieren und freuen uns, seine Rede und die Laudatio von Katja Tempel hier veröffentlichen zu dürfen.

Laudatio von Katja Tempel

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Lieber Elu, liebe Familie Pater, liebe Gäste,
zum ersten Mal getroffen habe ich dich 2012 im Refugio, dem Psychosozialen Zentrum für traumatisierte Geflüchtete in Villingen. Diese Anlaufstelle hattest Du seit 1998 zusammen mit Monika von Mirbach aufgebaut. Die Kriege auf dem Balkan führten zu Millionen Geflüchteter. Verfolgte aus der Türkei, Syrien, Sri Lanka und dem Kaukasus kommen auch im Schwarzwald an und brachten ihre psychischen Verletzungen mit in ein neues Land, das erst langsam zur neuen Heimat werden kann.

Die Lebenslaute, eine Gewaltfreie Aktionsgruppe, die Musik und Zivilen Ungehorsam seit 1986 an unmöglichen Orten verbindet, war von Dir und dem Friedensbündnis in Villingen-Schwenningen eingeladen worden, die Waffenfabrik Heckler & Koch in Oberndorf zu blockieren. Wir berieten über mögliche Aktionsstrategien und Du berichtetest lebendig, empathisch und mit innerem Feuer von deiner Arbeit. Sehr deutlich wurde der Zusammenhang zwischen Waffenproduktion und Exporten und dem Schaffen von Fluchtursachen auf der anderen Seite.

Das nächste Mal trafen wir uns kurz danach bei einer Pressekonferenz. Du, als Vertreter des Friedensbündnisses und ich als Pressesprecherin der Lebenslaute saßen in einem kleinen Raum in Stuttgart und standen den anwesenden wenigen Pressevertreter:innen Rede und Antwort. Und wie Du antworten konntest: Du kanntest dich aus mit den sogenannten Kleinwaffen (Gewehre, MG, Pistolen usw. an dieser Stelle sagst du jetzt bescheiden: nee; ich kenne mich gar nicht so gut aus), welche von hier als profitable Exportschlager in die Welt hinausgehen, um dann in allen nur denkbaren Kriegs- und Krisengebieten wieder aufzutauchen. Nach UN-Angaben sind diese „Kleinwaffen“ 2012 die größte Massenvernichtungswaffe auf der Welt, alle elf Sekunden stirbt ein Mensch an deren Anwendung. Es gibt sogar Gegenden, wo ein deutsches Gewehr billiger und leichter zu kaufen ist als ein Sack Grundnahrungsmittel. Diese Waffen sind dann auch eine wesentliche Ursache dafür, dass mehr und mehr traumatisierte Flüchtlinge zu uns kommen, von denen die meisten dann wieder unter beschämenden Umständen in ihre Herkunftsländer abgeschoben und zurückgeschickt werden. Deine Fachexpertise ergänzte sich gut mit meinem Wissen über Zivilen Ungehorsam und die Aktionsgruppe Lebenslaute.
Später lernte ich dann, dass Du auch ein Spezialist in Sachen Ziviler Ungehorsam bist – aber dazu später.

Am 26.3.1952 wurdest Du in Marsberg im Sauerland geboren. Umgeben von vier Schwestern und einem schon verstorbenen Bruder wuchst Du in einem katholischen liebevollen Elternhaus auf.

Aus dieser heilen Welt riß dich die klare Analyse deines Religionslehrers. Er öffnete dir die Augen für die sozialen Widersprüchlichkeiten, brachte dich mit der Befreiungstheologie in Kontakt. Du warst wütend. Deine heile Welt hatte Risse bekommen- die dich nicht mit in den Abgrund rissen, sondern Aufruf zum Handeln waren. Martin Luther King und andere bestärkten dich in dem Bewußtsein, dass soziale Ungerechtigkeit nicht hingenommen werden muß, sondern dass es sich lohnt, gemeinsam auf die Straße zu gehen, und das Unrecht zu benennen. Du lerntest das Konzept der Sozialen Verteidigung kennen, tauchtest zu Nachzeiten der 68er während des Studiums zum Arzt zeitweise in die linksradikale Frankfurter Szene ein, die sich solidarisch mit Holger Meins zeigte, der sich der RAF angeschlossen hatte. Vielleicht ist ein Satz von Holger Meins trotz aller Unterschiede zu seinen Mitteln unbewußt wichtig geworden für dich: „Entweder du bist ein Teil des Problems oder du bist ein Teil der Lösung“. Du, lieber Elu, versuchst in den letzten Jahrzehnten immer ein Teil der Lösung zu sein, a (auch wenn alle von uns natürlich auch Teil des Problems sind, z.b. in unserem Konsumverhalten) auch wenn Du den scheinbar Mächtigen immer wieder Probleme bereitet hast- oder vielleicht gerade deswegen.

Du warst 1975 in Wyhl bei der Bauplatzbesetzung von Anfang an dabei. 1980, gerade frisch approbiert als Arzt, hast Du das Bohrloch 1004 mit vielen anderen Aktiven aus dem Wendland und den Städten besetzt und die Republik Freies Wendland mit ausgerufen. 1981 hast Du den Hamburger Kongress „Ärzte warnen vor dem Atomkrieg“ mitorganisiert und damit die Basis gelegt, dass die IPPNW sich gründen konnte. 1984 kam es dann zu einer weiteren inneren Entwicklung. Die Seniorenblockade in Mutlangen, einem amerikanischen Atomwaffenstandort, begeisterte dich so stark, dass Du alles bisher Erlernte, Gelesene und Gefühlte ins konkrete Handeln umsetztest und dich selber zivil ungehorsam auf die Straße vor das Raketendepot setztest Im Rahmen der Kampagne Ziviler Ungehorsam bis zu Abrüstung kam es dann auch zu 3000 Verurteilung wegen Nötigung und 200 vollstreckten Ersatzfreiheitstrafen. Auch Du hast deine erste Gerichtsverhandlung genutzt, um auf die Gefahren der Abschreckungspolitik aufmerksam zumachen. 1990 folgte dann logischerweise ein erster Gefängnisaufenthalt wegen Manöverbehinderung von französischen Streitkräften. Dein Job als Arzt im Krankenhaus wärst Du fast losgewesen, doch dein Chef stellte sich hinter dich.

1993 bis 1995 hast Du zusammen mit Suncukret (übers. Sonnenblume) und anderen internationalen Freiwilligen Flüchtlinge in Kroatien und Bosnien unterstützt. Du trafst auf traumatisierte Menschen,
Bedrohungslagen, in denen das Militär hilflos daneben stand, erlebtest die etnische Säuberung von Caplinijia. Mit eurer Präsenz konnten ihr auch verhindern, das ein Lager, das bei Vertreibungsmaßnahmen
von der Hilfsorganisation Cap Anamur glattweg vergessen wurde, später noch geräumt werden sollte. Monatelanges Engagement ermöglichte, dass die Menschen bleiben konnten und nicht schon wieder vertrieben wurden.

2013 entschiedst Du dich, noch einmal in den Norden zu ziehen und nahmst eine Stelle in der ambulanten palliativen Versorgung von sterbenden Kindern und ihren Familien an.

2017 kam dann dein Ende des Berufslebens. Doch begann ein neuer Lebensabschnitt, der geprägt war und ist vom Gemeinschaftsaufbau und von einer neuen Freisetzung von Kräften für den Zivilen Ungehorsam.

Deine Beruf als kritischer Arzt bildet das Fundament für eine Begründung und Rechtfertigung von Aktionen
Zivilen Ungehorsams:

1. stärkt Ziviler Ungehorsam die Heilkräfte der Demokratie
2. bekämpft Ziviler Ungehorsam die „Krankheit“ die an gesellschaftlichen Konfliktlinien manifest wird
3. ist deine Überzeugung: Ohnmacht macht krank- ZU macht gesund.

Ja, lieber Elu, liebe Zuhörende,
das habe ich immer wieder zusammen mit Dir erleben dürfen:

Wir stark müssen wir leiden an den politischen Verhältnissen, in Deutschland, der Ukraine, in Kurdistan, in Syrien, in Israel oder in Gaza. Aber die gemeinsame Analyse und die Betroffenheit setzt Kräfte frei, die Du
immer mit anderen in gemeinsames Handeln umzusetzen versuchst. Heraus aus der Ohnmacht, dem hilflosen Konsumieren von schlechten Nachrichten, hin zu: wir können etwas machen; wir können etwas ändern. Und
wir verändern nicht nur Lebensrealitäten, wir verändern uns auch selber. Wir machen uns gesund, in dem wir gerade nicht an dem Zustand der Welt verzweifeln. Well being is Resistance.

Ziviler Ungehorsam nach deiner und meiner Auffassung (und Verfassungsrechtler:innen schließen sich uns da an) ist ein aufrüttelndes und gleichsam heilendes Element des Verfassungsschutzes. Er benennt deutlich
das nicht hinzunehmende Unrecht, unterbricht es durch direkte eingreifende gewaltfreie Aktionen und bringt die Auseinandersetzung nach der Aktion vor die Gerichte. Schon alleine die Aktion an sich, kann Menschen,
die das Unrecht als Mitarbeiter:innen, Entscheidungsträger:innen und Nutznießer:innen mittragen, anregen, über ihre Rolle nachzudenken. Gleichzeitig unterbricht die Aktion die menschenfeindliche Handlung. Immer
dann, wenn wir zum Stein des Anstoßes werden, setzt sich der Stein in Bewegung und reißt andere Steine mit sich. Oder um in einem schöneren Bild zu bleiben: Das weiche Wasser bricht den Stein. Es reißt die stärksten Mauern ein und sind wir klein und sind wir schwach, wir werden wie das Wasser sein, das weiche Wasser bricht den Stein.

Szenenwechsel: Im Morgengrauen betraten wir zu siebt die Startbahn des Fliegerhorstes in Büchel und verhinderten so den Start der morgendlichen Atombombenübungsflüge der Tornados in der Eifel.
Um auf die Startbahn zu gelangen, überwanden wir den einfachen Zaun, führten Luftballons mit uns, um gut sichtbar zu sein und uns und andere nicht zu gefährden und informierten telefonisch die Bundeswehr und Polizei.

Der Richter warf uns vor, es wäre ja nur symbolisch gewesen. Wir konterten: Wenn zu jeder Stunde an jedem Tag der Übungswoche Menschen auf die Startbahn gingen,könnte der Atomkrieg nicht länger geübt werden.
Ziviler Ungehorsam greift ein, er unterbindet das schadhafte Verhalten, seien es atomare Übungsflüge, Individualverkehr in der Stadt, Abbau von Kohle, die Präsenz von Rechten auf unseren Straßen und Schulen. Immerhin für ein paar Stunden. Und so kann kollektiver ZU falsche politische Entscheidungen thematisieren und Heilung voranbringen.

Deine Überzeugung, wir müssen hier auf der Erde etwas tun, wir können etwas verändern bringt andere und nicht nur dich und mich raus aus der Ohnmacht. Du ermutigst zum Handeln, zum Unbequemsein. Du
verlässt deine Comfort Zone, nicht nur, wenn du im Morgengrauen auf eine Startbahn gehst, auch wenn Du in einer Gefängniszelle sitzt und keine Bücher zum Lesen hast und keinen Besuch empfangen darfst.
Du arbeitest dich intensiv in Fachthemen hinein, wirst zusammen mit anderen zur Fachperson z.B. für den Rechtfertigenden Notstand. Du bleibst dran an den Themen. Du motivierst anderen, zum Dranbleiben. Denn
mit dir macht es Spaß, Gesetzestexte zu studieren und auszulegen, Aktionspläne auszutüfteln, in einer Blockade stundenlang auf der Erde zu sitzen. Du strahlst Gelassenheit aus, auch wenn andere in Aufregung
geraten. Du deeskalierst, wenn andere schon laut am Diskutieren und Streiten sind. Mit deiner brennenden Geduld steckst Du andere an.

Es gibt viele wie dich, lieber Elu. Sie sind namenlos überall auf der Welt und doch sind sie da. Du wirst heute geehrt, weil wir das Glück hatten, dir hier und jetzt zu begegnen. Aber es ist ein Preis für alle, die sich
gegen Ungerechtigkeit auflehnen und zusammen mit anderen gewaltfreie Revolutionäre sind. Du legst so wie tausende anderer Aktivist:innen ein Samenkorn in den Humus, der irgendwann aufgehen wird. In diesem Sinne wünsche ich dir und uns viele Mitstreiter:innen, die Samenkörner pflanzen und die kleinen Samen düngen- auf das wir gemeinsam eine bessere Welt schaffen können.

Katja Tempel, 22.10.23

Dankesrede von Ernst Ludwig „Elu“ Iskenius zur Siegfried-Pater-Preisverleihung am 22.10.2023

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Liebe Frau Pater,
Lieber Herr Pater,
Liebe Katja,
Liebe Anwesende,
Liebe Familie, Freunde und Freundinnen,Unterstützer*innen,

Vielen Dank für die Zuerkennung des Siegfried-Pater Preises, die Organisation dieser kleinen Feier, die wunderbare Rede von Dir Katja und schließlich auch, dass Ihr alle Euch heute die Zeit genommen habt, zu dieser schönen Feier zu kommen.

Nach meinem Verständnis nehme ich diesen Preis stellvertretend für die vielen, unbeugsamen Menschen, die sich staatlichen Unrecht durch gewaltfreien zivilen Ungehorsam bewusst entgegenstellen.Sie müssen oft sehr viel mehr Repression erleiden als ich. Davon gibt es viele, auf allen Kontinenten,wie Du Katja eben schon erwähnt hast. Einige von ihnen haben mir als inspirierendes Vorbild gegolten, einigen bin ich persönlich
begegnet.

Stellvertretend für die vielen möchte ich folgende Personen herausheben, die genauso gut an dieser Stelle stehen könnten:

Clara Tempel mit ihrem Jugendnetzwerk für politische Aktion. Mehrere 100 junge Menschen sind an den gewaltfreien zivilen Ungehorsam herangeführt worden. Mit Ihr war ich auf dem Atomwaffengelände in Büchel, sie selbst war deshalb schon vor 3 Jahren zu 8 Tage in Hildesheim im Gefängnis wegen einer Startund Landebahnbesetzung, um die völkerrechtswidrigen Übungen zum Abwurf von Atomwaffen durch deutsches Militär zu
unterbinden. Mit ihr haben wir von der Prozessgruppe Widerspruch den Prozeßmarathon durch alle Instanzen durchgestanden, damit wir unsere Verfassungsklagen (bisher insgesamt 21) einreichen zu können.Ich bin ihr häufiger begegnet, bei Blockadeaktionen, vor Gerichten, in vielen gemeinsamen Vorbereitungen derartiger Aktionen. In ihrem Alter hatte ich nur geträumt, aber noch keinen Zivilen Ungehorsam praktiziert bzw. mit organisiert.

Der Bürgermeister von Riace Domenico Lucano: Als Bürgermeister eines kleinen italienischen Bergdorfes hat er viele in Italien angekommene Geflüchtete gegen den Willen seiner Regierung willkommen geheißen. Damit hat er in weiser Voraussicht sein aussterbendes Dorf belebt Dafür wurde er in einem unfairen Prozess mit absurden Vorwürfen angeklagt, 2021 in erster Instanz zu hoher Gefängnisstrafe verurteilt, Gott sei Dank dann in höheren Instanzen kürzlich freigesprochen. In seinem Buch: „Dorf des Willkommens“ schrieb er: „Durch ein absurdes Zusammentreffen , durch eine Laune des Windes, ist die Geschichte auf ein Dorf gestoßen, das mit dem Virus der „Menschlichkeit“ infiziert war, einen Ort, an dem es möglich war, sich vorzustellen, dass wir alle Menschen sind. Das hat eine tiefe Spur hinterlassen, das ist das Erbe, das wir weitergeben, der Traum, dessen Verwirklichung noch aussteht“. Ja Ziviler Ungehorsam nimmt manchmal genau das vorweg, was wir in Zukunft dringend brauchen. Er ist die Medizin gegen das Unrecht. Er nimmt häufig unsere Utopien vorweg.

Die junge kurdische Ärztin aus Diyarbakir, Dr. Elif Turan, die vom türkischen Staat mit Berufsverbot belegt wurde, weil sie sich weigerte, Gefangene in Fuß- und Handschellen ärztlich zu untersuchen. Diese für Gefangene unwürdige Behandlung wird auch in deutschen Gefängnissen praktiziert, wie ich in meiner Gefängniszeit erfahren konnte, bisher stillschweigend und ohne Proteste von ärztlichen Kollegen und Kolleginnen.Sie ist dagegen
täglich mit Verhaftung bedroht, weil sie als Vorsitzende der Ärztekammer immer wieder mit der dortigen Zwangsverwaltung in Konflikt gerät. Ziviler Ungehorsam ist häufig ein herausforderndes Vorbild, ein Spiegel unseres eigenen kleinmütigen Handelns.

Ihr älterer Kollege, der Chirurg Dr. Adnan Selcuk Mizrakli, ahnte schon vor seiner Wahl zum Oberbürgermeister von Diyarbakir, was ihm später dann widerfahren ist: Zwangsabsetzung, Verhaftung, Gefängnisstrafe von 18 Jahren. Wir hatten ihn kurz vor seiner Wahl in Diyarbakir getroffen.Wir hatten ihn auf die mögliche kommende Repression gegen ihn angesprochen. Seine Antwort: „Das darf mich nicht abhalten, für das einzustehen und zu handeln, was ich für meine ärztliche Aufgabe für richtig halte.“ Ob ich auch diesen Mut gehabt hätte?

Am Freitag erst traf ich Frau Steffi Pulz-Debler, Landtagsabgeordnete in meinem Bundesland, die im Sommer 4 Wochen auf einem Seenotrettungsschiff praktisch mit geholfen hat. Sie muss seitdem nicht nur gehässige Briefe und e-mails lesen oder Telefonate anhören, sondern wird auf offener Straße bespuckt, beschimpft und bedroht, weil sie sich öffentlich vor die Geflüchteten stellt und die an ihnen verübten Menschenrechtsverletzungen öffentlich geißelt. Wie ihr ergeht es auch manchen mutigen Kommunalpolitiker. Personen, die zivilen Ungehorsam und den Widerstand grgrn das strukturelle Unrecht praktizieren, brauchen Schutz und solidarität durch ein soziales Umfeld.

Im letzten Jahr saßen allein hier in Deutschland 6 Menschen wegen ihrem Zivilen Ungehorsam im Rahmen der Atomwaffenproteste in Büchel im Gefängnis, weitere werden folgen. Die Gefängnisstrafen sind  vergleichsweise noch milde im Vergleich zu den gewaltfreien Aktivist*innen in den USA, die nichts anderes getan haben wie wir hier, aber dafür hohe mehrjährige Gefängnisstrafen in Kauf nehmen mussten. Ziviler Ungehorsam, das muß klar sein, hat Konsequenzen.

Oder die jungen Menschen von der Letzten Generation, die nicht nur physische Gewalt von aufgebrachten Autofahrern für ihren Zivilen Ungehorsam stoisch in Kauf nehmen , sondern mittlerweile sogar in Präventivhaft genommen werden. Sie werden mit Strafprozessen überzogen, die meist mit empfindlichen Geld und Gefängnisstrafen enden. Egal, wie wir persönlich zu ihren Aktionen stehen, wir als ältere müssen uns öffentlich vor sie
stellen, denn es geht um ihre zukünftige Existenz, deren Bedrohung wir bisher nicht verhindern konnten.

Ich danke den Organisatoren des Siegfried-Pater-Preises, dass ich für all diese inspirierenden und mutigen Menschen diesen Preis entgegen nehmen darf.

Sie sehen, Ziviler Ungehorsam ist bunt und vielfältig. Er kommt in verschiedensten Lebenslagen vor.

Warum gewaltfreier Ziviler Ungehorsam in diesen Tagen so notwendig ist, hat schon Katja vorhin angedeutet. Ich möchte sogar behaupten, dass ohne täglich praktizierten Zivilen Ungehorsam unsere Demokratie aus dem Ruder laufen würde und das Unrecht zum Recht würde.

Wenn wir uns bewusst für eine Gefängnisstrafe entscheiden, dann deshalb, um auf bestehendes Unrecht oder gravierende Fehlentwicklungen zugespitzt aufmerksam zu machen. Wir nennen das deshalb auch „Mahnwachen hinter Gittern“.

Ich bin dankbar, dass ich Teil dieses Widerstandes bin.Ich habe dadurch gelernt, viele Ängste ablegen zu können und brauche auch nicht zu verzweifeln, wenn wir scheinbar so ohnmächtig der Gewalt, den Rechtsbrüchen und dem Unrecht nur zuschauen. Meist hätten wir sie präventiv verhindern können, wenn wir rechtzeitig der dahinter stehenden „strukturellen Gewalt“ praktisch und konsequent widersprochen hätten. Ich bin davon überzeugt, dass unser scheinbar ohnmächtiges Handeln den Humus für die dringend notwendigen Veränderungen bildet, aus dem dann eines Tages eine gerechte, friedvolle und ökologisch angepasste neue Gesellschaft entsteht. Diese Hoffnung lasse ich mir auch nicht nehmen angesichts der multiplen Krisen, Kriegs- und Gewaltausbrüche, auf die in diesen Tagen viele Regierungen und Staaten mit Gewalt und Gegengewalt glauben reagieren zu müssen. Wir können dem entgegentreten, und das macht mich immer wieder froh und stark.

Das Preisgeld geht an zwei Organisationen, die Menschen beistehen, der kriegerischen Gewalt etwas entgegen zu setzen, sei es im bürokratischen Krieg gegen unbewaffnete Geflüchtete, sei es durch Desertation, Verweigerung und Kriegsgegnerei den militärisch geführten Krieg den Rücken zu kehren. Entsprechende Informationen liegen aus.

Ich danke Ihnen alle für das geduldige Zuhören und den Organisatoren dieses Preises für die Gelegenheit, unseren gewaltfreien zivilen Ungehorsam öffentlich zu würdigen. Lasst uns weiter Humus bilden und Samen des Widerstandes säen, damit verteidigen wir unsere demokratischen Werte.

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