Stefanie Intveen: Militarisierung und Engagement für Frieden in Köln – Nachtrag zum Ostermarsch 2019
Wir dokumentieren die Rede von Stefanie Intveen zum Auftakt des Ostermarsches Rhein-Ruhr am 20.4.2019 in Köln (auch als pdf-Version mit allen Links und Quellenangaben).
Liebe Friedensfreundinnen und -freunde,
„Frieden“ ist wieder ein Thema! Alle größeren Parteien verwenden in ihren Kampagnen zur Wahl des Europaparlaments den Friedensbegriff. Das ist sehr gut! Kommende Woche treffen wir uns im Friedensbildungswerk Köln, um uns die Wahlprogramme anzuschauen. Wir wollen wissen, was die verschiedenen Parteien unter „Frieden“ verstehen.
Ist Köln eine Stadt des Friedens? Köln hat zweiundzwanzig Partnerstädte, darunter Wolgograd (ehem. Stalingrad), Rotterdam, Liverpool, Tel-Aviv und Bethlehem. Oberbürgermeisterin Henriette Reker wirbt immer wieder für die Unterstützung von Geflüchteten. Die Stadtgesellschaft hat eine soziale Ader und eine aufmerksame Zivilgesellschaft. Mehrere Friedensgruppen engagieren sich hier gegen die Militarisierung der Stadt und sind damit immer wieder erfolgreich.
Die meisten weiterführenden Schulen in Köln haben letztes Jahr von einem Kölner Bündnis gegen die Rekrutierung Minderjähriger durch die Bundeswehr Post bekommen. Wir haben sie darüber informiert, dass die Bundeswehr Jugendliche rekrutiert, obwohl das internationalen Standards widerspricht. Unser Kölner Bündnis hat einen Dialog mit zwei Großunternehmen aufgenommen, die mit Bundeswehrwerbung, die sich gezielt an Jugendliche richtet, Geld verdienen: Google in Hamburg und Ströer in Köln.
Der Kölner Jugendring hat auf seiner Vollversammlung am 17.5.2018 die Rekrutierung Jugendlicher abgelehnt. Er setzt sich dafür ein, dass die Bundeswehr Werbung, die sich an Kinder und Jugendliche richtet, unterlässt.
Seit der deutschlandweiten Kritik an den Werbeplakaten der Bundeswehr während der gamescom im letzten Sommer wurde in Köln – im Unterschied zu benachbarten Städten – nicht mehr plakatiert. Die Präsenz von Jugendoffizieren in Kölner Schulen scheint nachgelassen zu haben. Wir bleiben aber am Ball, solange die Rekrutierung Jugendlicher anhält. Zusammen mit landes- und bundesweiten Organisationen fordern wir in Köln: „Unter 18 nie!“
Kölner Gewerkschafter haben 2017 die deutschlandweit erfolgreiche Kampagne#No2Percent gegen die NATO-Aufrüstungswünsche in Gang gesetzt. Gemeinsam mit Kölner Gewerkschaftsgliederungen, DIDF, der Partei Die Linke, der Kölner SPD, weiteren Organisationen und vielen Friedensgruppen bringen wir die Forderung nach Berlin, die aus #No2Percent weiterentwickelt wurde: „Abrüsten statt aufrüsten!“
Im letzten Sommer haben unsere Kölner Friedensfreundin Ariane und andere mutige Aktivist*innen in einem Akt Zivilen Ungehorsams die Startbahn des Luftwaffenflughafens Büchel, wo die US-Atombomben lagern, betreten. Dadurch haben sie es geschafft, das Thema der sogenannten Nuklearen Teilhabe endlich in die überregionale Presse zu bringen. Sie wurden wegen Hausfriedensbruchs verurteilt und haben Revision eingelegt.
Durch hartnäckige Überzeugungsarbeit haben es Aktive des Kölner Hiroshima-Nagasaki- Arbeitskreises geschafft, dafür zu sorgen, dass die Stadt jedes Jahr die Flagge der Mayors for Peace hisst. Ein starkes Zeichen für den Friedenswillen, der von Köln ausgeht!
1985 hatte der Kölner Stadtrat beschlossen, einem Bündnis der Städte zur Abschaffung der Atomwaffen beizutreten; später wurden daraus die „Mayors for Peace“. Auf Betreiben von Aktiven aus Kölner Friedensgruppen hat ein Ratsausschuss 2018 diesen Beschluss mit den Stimmen von Grünen, CDU, SPD und Linken bekräftigt9. Am 5. März ist Köln als vierte Stadt dem ICAN-Städteappell beigetreten! Damit fordert die Stadt gemeinsam mit jetzt zwölf anderen Städten die Bundesregierung auf, dem UN-Atomwaffenverbotsvertrag beizutreten.
Aber Köln – vor allem Köln-Wahn – ist auch einer der wichtigsten Bundeswehrstandorte in Deutschland. Das Militär ist vermutlich der drittgrößte Arbeitgeber in der Stadt – nach der Stadtverwaltung und den Ford-Werken.
Die Rüstungsindustrie in Köln ist unauffällig, weil hier keine Großgeräte produziert werden und weil die meisten Betriebe auch zivile Produkte anbieten, aber sie ist da:Rohde & Schwarz in Köln-Porz bietet Systeme zur elektronischen Kriegführung an. Die Xeless GmbH am Friesenwall betreibt militärische Feldlager für NATO und die US- Armee in Afghanistan und Irak. Die Infodas GmbH in Chorweiler liefert Software für die Bundeswehr. Die Anwaltskanzlei Oppenhoff & Partner am Konrad-Adenauer-Ufer hat an zahlreichen Militärprojekten mitgearbeitet, darunter Tornado, Eurofighter, Herkules, Galileo, Eurospike, System Flugabwehr, A400M, Dolphin U-Boote, Drohnen für die deutsche Luftwaffe, Dingo, Fennek, Boxer, Puma, Panzerhaubitze 2000, Luft- Boden-Rakete, Leopard 2.
Die spektakulärste Kölner Einrichtung, die mit der Rüstungswirtschaft zu tun hat, ist das Deutsche Luft- und Raumfahrtzentrum e. V. (DLR) in Köln-Wahn. Das ist ein Weltraumforschungsinstitut mit einer wenig bekannten militärischen und rüstungswirtschaftlichen Seite. An 20 Standorten in Deutschland beschäftigt es 8.200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Im Jahr 2017 betrug sein Etat 1,0 Mrd. Euro. Hinzu kamen das vom ihm verwaltete Raumfahrtbudget in Höhe von 1,5 Mrd. Euro und Fördermittel für Projekte in Höhe von 1,3 Mrd. Euro.
Die militärisch relevante Forschung ist im Bereich „Sicherheitsforschung“ gebündelt. Das ist ein Querschnittsbereich. Damit können Forscher*innen des DLR in den eigentlich zivilen Bereichen nicht sicherstellen, dass ihre Arbeit nur zivilen Zwecken dient – offenbar kann alles militärisch verwertet werden. Eine Zivilklausel gibt es nicht.
Das DLR ist seit Jahren „die strukturierende Instanz der Drohnenforschung“ in Deutschland, „eine der tragenden Säulen der deutschen Rüstungsforschung und betreibt gemeinsam mit Airbus Defence & Space die Aufklärungs- und Kommunikationssatelliten der Bundeswehr.“
Seit dem Brexit-Referendum ist die von Frankreich und Deutschland vorangetriebeneAufrüstung der Europäischen Union durch den neuen „Europäischen Verteidigungsfonds“ in Bewegung gekommen. Es gibt jetzt neue Finanzierungsmöglichkeiten für Großprojekte der europäischen Rüstungsindustrie, darunter ein neues Kampfflugzeug und die bewaffnete „Eurodrohne“. Das Kampfflugzeug soll unter französischer Federführung entstehen, die Drohne unter deutscher. Im April 2018 haben Airbus und der französische Konzern Dassault Aviation vereinbart, ein so genanntes „Future Combat Air System (FCAS)“ zu entwickeln. Darunter ist ein System von Flugzeugen, Drohnen, Drohnenschwärmen und Marschflugkörpern zu verstehen, das gemeinsam angreifen kann; es soll möglich sein, das Ganze mit Satelliten, NATO-Systemen und land- und seegestützten Waffensystemen zu verbinden.
Die beteiligten Konzerne peilen damit Umsätze in Höhe von 500 Milliarden Euro an.
Das DLR und Airbus Defence and Space haben 2018 eine Rahmenvereinbarung dazu geschlossen. Gemeinsam mit deutschen Rüstungsbetrieben verfasste das DLR im vergangenen Jahr im Lobby-Verband BDLI ein Positionspapier zum FCAS, in dem Handlungsempfehlungen an die Politik formuliert wurden. Die Gruppe wünscht sich u. a.,
- dass Bundeswehr und Verteidigungsministerium die deutsche Industriepositionin den deutsch-französischen Verhandlungen unterstützen mögen,
- dass Schlüsseltechnologien in Deutschland aufgebaut und erhalten werden sollen, um die nationale Souveränität zu gewährleisten,
- einen engen und vertrauensvollen Austausch „zwischen Politik, militärischer Führung und Unternehmen“ und
- „die dauerhafte und hinreichende Bereitstellung von [Forschungs- und Technologie-]Mitteln“
Die französische Regierung schätzt, dass die Entwicklung eines Prototyps dieses Kriegssystems in den nächsten elf Jahren etwa fünf bis zehn Milliarden Euro kosten könnte. Das Verteidigungsministerium ist offenbar der Auffassung, dass der Bau des Systems zwei Dinge voraussetzt:
- eine verlässliche, mehrjährige Finanzplanung und
- eine europäische Einigung über die Rüstungsexporte.
Um die Finanzplanung abzusichern, sollen die Parlamente diesem Projekt noch im laufenden Jahr zustimmen. Spanien hat die deutsch-französische Rahmenvereinbarung im Februar diesen Jahres unterzeichnet; Italien und Großbritannien haben dies bisher abgelehnt. Bei aller Komplexität dieses Rüstungsprogramms ist aus meiner – laienhaften – Sicht Eines völlig klar: es geht im Kern nicht um unsere Sicherheit. Es geht darum, dass eine Gruppe interessierter Personen und Institutionen es geschafft hat, öffentliches Geld für die Verwirklichung einer militärischen Vision abzuzweigen. Einer Vision, die ein einziger Albtraum würde, wenn sie jemals zum Einsatz käme.
Das, was hier geplant wird, ist keine Verteidigungstechnik, es ist eineAngriffsmaschine. Ausdrücklich geht es darum, die russischen S400- Abwehrsysteme, die u. a. in Kaliningrad stationiert sind, mit nuklear bestückten Tarnkappenbombern zu überwinden, wie ein Bundestagsabgeordneter im Januar in einem Zeitungsartikel ganz offen schrieb.
Soll Köln sich freuen, wenn der Stadt ein paar dicke Brocken aus diesem fetten Kuchen des „Verteidigungshaushalts“ in den Schoß fallen? Oberbürgermeisterin Henriette Reker berichtete 2016 auf einem Arbeitgebertag, die Bundeswehr werde in den folgenden zehn Jahren 750 Millionen Euro in den Luftwaffenstandort Wahn investieren.
Wie viel Geld wäre nötig, um flächendeckend Gesprächs- und Versöhnungsprojektein der Ukraine, den baltischen Staaten, Polen, Weißrussland, Deutschland und Russland zu organisieren? Wie könnte Köln davon profitieren? Was würde es kosten, Bundestagsabgeordnete aus dem Verteidigungsausschuss, die solche Zeitungsartikel schreiben, zu Kulturreisen nach Russland, vielleicht in unsere Partnerstadt Wolgograd, zu bringen und ihnen diejenigen Menschen zu zeigen, die sie als Feinde bereit sind einzustufen? Deren Städte sie mit atomar bestückten Tarnkappenbombern überfliegen wollen?
Wieviel Geld bräuchte man, um Zwanzig- oder Dreißigtausend Friedensfachkräfte auszubilden? In Köln haben wir eine Einrichtung, die genau das macht – das Forum Ziviler Friedensdienst. Aber mit einem Budget von 7 Mio. Euro kann man nur einige wenige Menschen ausbilden. Das ist nicht einmal ein Hundertstel dessen, was die Bundeswehr allein in ihren Standort in Köln-Wahn investiert.
Wieviele Konferenzen bräuchten wir, um den absurden und verbrecherischen „Krieg gegen den Terror“ zu beenden, der sich seit fast achtzehn Jahren mit Hilfe deutscher Rüstungsexporte – auch aus Köln – durch ganze Länder und Regionen frisst?
Der US-amerikanische Trappistenmönch Thomas Merton hat 1961, in einer Phase der Aufrüstung, ein Gedicht geschrieben. Es ist eigentlich ein Anti-Gedicht. Der Sprecher ist der Kommandant eines Vernichtungslagers der Nazis. Das Gedicht heißt „Choral – zu singen in Prozessionen um einen Ort herum mit Verbrennungsöfen“. In dem Choral beschreibt der Kommandant nüchtern seinen Arbeitsalltag beim Völkermord. Aber am Schluss wendet er sich an diejenigen, die sich moralisch überlegen fühlen, weil sie modernere Tötungsmethoden anwenden. Er sagt:
Haltet euch nicht für besser, weil ihr Freunde und Feinde mit Langstreckenraketen verbrennt, ohne jemals zu sehen, was ihr getan habt.
Die Angestellten des DLR und in den Unternehmen sollen mit ihrer Forschung und Entwicklung ruhig viel Geld verdienen – aber ihre Arbeit soll allen Menschen dienen und nicht schon wieder die Menschenvernichtung mit neuester Industrietechnik vorbereiten!
Wir brauchen keine Aufrüstung und keine militärische Sicherheitspolitik – was wir dringend benötigen, ist eine zivile Sicherheitspolitik! Köln kann sich auf die Ausbildung von Friedensfachkräften spezialisieren und in die Friedensforschung investieren. Ist Köln eine Friedensstadt? Wahrscheinlich nicht, aber, wenn wir es wollen, könnte sie eine werden!