Harald Fuchs zum Streit um Preisverleihung an „Jüdische Stimme“: Täter von heute beanspruchen Opferstatus von damals
Den Streit um die Verleihung des mit 3.000 Euro dotierten Göttinger Friedenspreises an die „Jüdische Stimme für den gerechten Frieden in Nahost“, die heute stattfindet, kommentiert unser Mitglied Harald Fuchs.
Von Harald Fuchs.
Antisemitische Überzeugungen haben in Europa eine lange Tradition. Pogrome und die millionenfache industrielle Menschenvernichtung des deutschen Staates in der Zeit der NS-Herrschaft sind die grausige Blutspur dieser menschenfeindlichen rassistischen Ideologie.
Ich weiß, wovon ich dabei rede, sind doch unter meinen Vorfahren einige, die in den KZ der Nazis ermordet wurden oder schwer traumatisiert und krank überlebt haben.
Auf dem Hintergrund der entsetzlichen Folgen des Antisemitismus ist moralisch erledigt, wer in Deutschland als Antisemit dasteht. Die Wut eines kollektiven Schuldgefühls wendet sich gegen alle, die in die Ecke „Antisemit“ gestellt werden.
Als eine Folge der NS-Herrschaft ist ein zionistisch geprägter Staat der Juden entstanden, dessen Regierung und Parlamentsmehrheit leider Völkerrecht und Menschenrechte verletzen und dessen staatliche Gewalten Palästinenser in rassistischer Weise benachteiligen und sich dem Schicksal der palästinensischen Menschen gegenüber unempathisch und menschenfeindlich zeigen. In der Idee des „Erez Israel“ kommen die Menschenrechte der Palästinenser nicht vor. Aus den Opfern von einst sind so Täter geworden, die auch vor dem Bau von Atomwaffen und der Drohung mit ihrem Einsatz nicht zurückschrecken. In meinen Augen sind alle Regierungen, die glauben, das Recht zu haben, Atomwaffen unter welchen Bedingungen auch immer einzusetzen, die schlimmstmöglichen Terroristen. Denn es wird dabei mit der Existenz des höheren Lebens auf dieser Erde gespielt und das Völkerrecht missachtet. Das gilt auch für Israel.
Zugleich nehmen diese Täter von heute den Opferstatus von damals für sich in Anspruch und belegen ihre Kritiker mit dem Verdikt des Antisemitismus. Letzten Endes diskreditieren sie den Kampf gegen Antisemitismus, indem sie die Glaubwürdigkeit des Eintretens gegen Antisemitismus beschädigen. Der Vorwurf des Antisemitismus wird zur Rechtfertigungsideologie einer Regierungspolitik, für die nur Juden Opfer sein können, und niemals Palästinenser. Wer blind ist für den eigenen Rassismus, die eigene Gewaltausübung, die eigenen Rechtsverletzungen, der kann nicht glaubwürdig gegen den Rassismus, die Gewaltausübung und Rechtsverletzungen der Antisemiten argumentieren.
Wer so undifferenziert und oberflächlich die „Jüdische Stimme für den Frieden“ in die antisemitsche Ecke stellt, wie das beispielsweise der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, gegenwärtig tut, der schwächt in Wirklichkeit die Glaubwürdigkeit des Engagements gegen antisemitische Stereotype. Die Beteuerungen, nicht jede Kritik an der Regierung und am Staat Israel sei antisemitisch, werden zu offensichtlich leeren Worten. Denn in der politischen Praxis ist es ja dann doch so, dass jeder, der zu politischem Widerstand gegen von Israel ausgehendem Unrecht aufruft, öffentlich zum Antisemiten gestempelt und mit Raumverboten und anderen Behinderungen der freien Meinungsäußerung belegt wird.
Dies musste der Begründer der Friedensforschung, Prof. Johann Galtung in den Auseinandersetzungen am Basler „Swiss Peace Institut“ erfahren; ebenso der Kölner Partnerschaftsverein Köln-Bethlehem, als er eine Ausstellung über die „Nakba“ aus palästinensischer Sicht in Köln zeigen wollte. Auch die US-amerikanische Frauen-Friedensgruppe „Code Pink“ steht in der langen Liste der angeblichen Antisemiten.
Wenn die kritiklosen angeblichen Israel-Freunde so weiter machen, sorgen sie noch dafür, dass „Antisemit“ angesichts der Reihe der angeblichen Antisemiten zum Ehrentitel wird. Und das wäre dann wirklich eine Katastrophe.
Falls Herr Schuster eine Liste veröffentlicht, welche konkrete Kritik an der staatlichen Politik Israels „erlaubt“ und nicht antisemitisch ist, werde ich meine Kritik zurücknehmen.
Ich empfehle zu den Vorgängen um die Verleihung des „Göttinger Friedenspreises“ an die „Jüdische Stimme für den Frieden“ den offenen Brief von Frau Prof. Reisin zur Lektüre, der sehr interessante Hintergrundinformationen u. a. zur israelischen Atombombe enthält.
Hinweis der Redaktion: wir haben den Titel am 9.3.2019 geändert.