Mechthild Geue: Es ist höchste Zeit, den Mythos der rettenden Gewalt zu entlarven!

Bei der Kundgebung „Abrüsten statt Aufrüsten!“ am 3. November 2018 in Köln sprach Mechthild Geue als Vertreterin der Kölner Gruppen von pax christi und des Internationalen Versöhnungsbundes. Wir bedanken uns für die Möglichkeit, ihre Rede im Wortlaut zu veröffentlichen.


Liebe Friedensfreundinnen, liebe Friedensfreunde,

Es ist höchste Zeit, den Mythos der rettenden Gewalt zu entlarven, welcher das Militär umgibt, und zugleich die Frieden stiftende Wirksamkeit entschieden gewaltfreier Politik bekannt zu machen.

Frieden kann durch militärische Hochrüstung nicht bewirkt werden. Er wird dadurch gefährdet. Kombiniert mit verbaler Kriegsrethorik können Kriege ausgelöst werden – schneller als wir denken.

Die Gründereltern des Internationalen Versöhnungsbundes wollten den Krieg noch verhindern, als sich 1914 Christen und Christinnen aus 12 Nationen und aus 30 verschiedenen Kirchen und Glaubensgemeinschaften in Konstanz trafen. Doch schon während des ersten Konferenztages erklärte Deutschland Russland den Krieg. Die ausländischen Teilnehmer mussten Deutschland am 3. August verlassen, um nicht interniert zu werden. Auf dem Kölner Hauptbahnhof reichten sich der deutsche Pfarrer Friedrich Sigmund-Schulze und 20 ausländische Tagungsteilnehmer die Hände und versprachen einander, trotz des Krieges Freunde zu bleiben. 

Die internationale pax-christi-Bewegung entstand nach dem 2. Weltkrieg auf Initiative von Menschen innerhalb der katholischen Kirche Frankreichs, die den Deutschen die Hand zu Versöhnung und Neubeginn reichten. In den 60er Jahren gehörten deutsche Pax-Christi-Mitglieder zu den Initiatoren von Begegnungen der Wiedergutmachung und Versöhnung mit Osteuropa.

Im Hintergrund sind bunte Friedensfahnen, Kampagnenplakate und Menschen zu sehen.

Mechthild Geue bei Kundgebung „Abrüsten statt Aufrüsten!“ am 3. November 2018 auf dem Wallrafplatz, Köln. Foto: Stefanie Intveen.

In keinem Alptraum haben die Initiatoren beider Bewegungen sich vorstellen können, welch atomare und nichtatomare Waffenarsenale die damals Frieden schließenden Länder Europas inklusive Russlands und Nordamerikas  anhäufen würden. Wie hätten sie denken können, in wie vielen Ländern einige von ihnen Kriege führen und welche Gewaltherrschaften und Kriege sie weltweit mit Waffenlieferungen  ermöglichen würden?

Warum wurde nach dem Fall der Mauer zwischen Ost- und Westeuropa nicht radikal abgerüstet? Was wurde versäumt, um Europa inklusive Russlands zu einem Ort für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt zu gestalten?

Stattdessen wurden europäische Kriegsbeteiligungen seit dem Kosovokrieg 1998/99 mit dem Schutz von Menschenrechten legitimiert, andere Kriegsinteressen damit verschleiert und zugleich Kriege als Mittel der Politik wieder hoffähig gemacht. 

Der Mythos der rettenden Gewalt hat sich seitdem inflationär ausgebreitet, wo wir doch heute alle Möglichkeiten hätten, ihn zu überwinden, Konflikte mit gewaltfreien Mitteln zu lösen und allen Menschen ein Leben in Würde zu ermöglichen. 

Die Diskussionen über militärische Feuerwehreinsätze lenken ab von dem, was Menschen und Erde wirklich brauchen:

Erstens eine sofortige Umkehr der gegenwärtigen Aufrüstungspirale hin zu einer radikalen und umfassenden Abrüstungsspirale.

Was würde Frieden und Demokratie Gefährdendes geschehen, wenn morgen beschlossen würde, Deutschland zur entmilitarisierten Zone werden zu lassen als Beginn der Entmilitarisierung Europas? Höchstwahrscheinlich nichts. Stattdessen viel Gutes: Weil für die wirklichen Gefährdungen und gewaltvollen Realitäten das Militär die falsche Medizin mit vielen tödlichen Nebenwirkungen ist:

  • Rüstung tötet selbst jeden Tag ohne dass ein einziger Schuss fällt, indem sie große materielle und menschliche Resourcen verschwendet .
  • Die gegenwärtige Aufrüstung, die verbale Kriegsrethorik  und die gerade stattfindenden Natomanöver an den Grenzen Russlands sind selbst brandgefährlich. 

Ich muss Menschenrechtsverletzungen der russischen Regierung nicht schönreden, um zu sagen: Auch angesichts der beiden von Deutschland ausgehenden Weltkriege, in denen Millionen russischer Menschen ihr Leben verloren, sind die Förderung mitmenschlicher und kultureller Begegnungen, politischer Dialog und der Aufbau einer neuen europäischen Friedensordnung, in der Russland dazugehört, das dringende und längst überfällige Gebot der Stunde.

Zweitens die Überwindung der Gewalten, welche sowieso nur ohne militärische Waffen überwunden werden können:

  • der Raub von Land und Rohstoffen und die darauf folgenden Verelendungen weltweit,
  • die Entwertung lebenswichtiger Güter zu Finanzspekulationsobjekten,
  • die Gewalt gegen die Natur und die Vielfalt des Lebens,
  • die Gewalt gegen die Vielfalt der Menschen und des menschlichen  Denkens durch Rassismus und Fanatismus jeglicher Art,
  • die Gewalt machtkonzentrierender Herrscher und ihrer Diener gegen den kreativen Gestaltungswillen Vieler.

All diese Leben bedrohenden und Leben vernichtenden Mächte und Gewalten können nur überwunden werden

  • indem die Wahrheit über sie aufgedeckt und gesagt wird,
  • durch geistige Auseinandersetzung und Dialog,
  • durch Verweigerung der Unterstützung und gewaltfreien Widerstand.

Dies bedeutet zuallererst, dass die Unterstützung von Menschenrechtsverletzungen und Kriegen durch Waffenlieferungen endlich und sofort beendet wird!

Eine Bewegung, die sich dafür einsetzt, braucht die internationale Solidarität all derer und mit denen, die sich in ihren Ländern für Menschenrechte, Gerechtigkeit und Frieden einsetzen.

Ein Überblick über die Kundgebung, die die zahlreichen Zuhörer*innen von hinten zeigt. Entfernt im Bild die bunten Pace-Fahnen, Fahnen und Transparente von DFG-VK, pax christi und thematischen Friedenskampagnen zu Syrien und der Atomwaffenabrüstung.

Kundgebung „Abrüsten statt Aufrüsten!“ am 3. November 2018 auf dem Wallrafplatz, Köln. Foto: Stefanie Intveen

Und zwar ohne ideologische Scheuklappen. Es gibt keine gute Folter und keine guten Hinrichtungen, und das Recht auf Meinungsäußerung und gesellschaftliche Mitgestaltung ist genauso universal wie das Recht auf Nahrung, Gesundheitsfürsorge und Bildung. 

Der Einsatz für Frieden und Versöhnung und das gewaltfreie Engagement für Menschenrechte gehören zusammen im Leben und Kämpfen für eine geschwisterliche Welt.

„Versöhnung muss ausgehen von der Parteinahme für die Armen und Entrechteten“ war und ist einer der Grundsätze der gewaltlosen Befreiungsbewegungen in Lateinamerika.

Ich freue mich sehr, dass hier und heute die Vernetzung von Organisationen der Friedensbewegung und Organsationen, die sich für menschenwürdiges Leben aller einsetzen, sichtbar wird.

Auch solche Vernetzungen sind ein Gebot dieser Zeit: Sie überwinden Ohnmacht, indem wir aufhören, auf das Tun und Nichttun der Mächtigen zu starren, sondern stattdessen unsere Blicke weiten zu Not, gewaltfreiem Widerstand und Aufbruch nebenan und weltweit.

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