Peter Trinogga: Die Freiheit stirbt stückweise. Rede zum Tag der Befreiung am 8. Mai 2018
Peter Trinogga (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten VVN-BdA, Kreisvereinigung Köln) erinnerte am 8. Mai 2018 in Köln an die Befreiung vom Faschismus 1945. Er erläuterte, wie versucht wurde und wird, die massenhafte (Mit-)Täterschaft dadurch zu verdrängen, dass die Erinnerung an die eigenen Kriegsopfer Vorrang erhielt. Sein Fazit ist gleichzeitig eine Warnung:
Wie sieht es heute aus, stehen wir wieder vor einem neuen Faschismus, einer Naziherrschaft 2.0? Natürlich nicht, wir leben in einer Demokratie mit allen bürgerlichen Freiheiten. Doch diese Freiheiten sind wieder in Gefahr! Diesmal nicht durch ein neues Ermächtigungsgesetz, sondern durch ihren langsamen Abbau.
Es folg der vollständige Text der Rede.
Liebe Kameradinnen und Kameraden,
liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten,
der 8. Mai, der Tag der Befreiung Europas und Deutschlands vom Hitlerfaschismus war und ist für die meisten Deutschen ein schwieriger Tag. Offizieller Gedenktag wurde er nie und erst 1985 nannte ihn der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker einen Tag der Befreiung, gegen alle Widerstände des rechten CDU-Flügels.
Für die meisten Menschen handelte es sich tatsächlich um eine Befreiung: Für die Verfolgten des Naziregimes, die in Zuchthäusern, Konzentrationslagern, Zwangsarbeiterlagern oder in tiefster Ilegalität lebten, litten und kämpften sowieso, für die große Mehrheit der Deutschen, selbst für die Passiven und die Mitläufer der Nazis war es auf jeden Fall die Befreiung vom Krieg, der von Deutschland aus Europa verheert hatte und an seinen Ausgangsort zurückgekehrt war. Und doch empfanden viele Deutsche die Befreiung als Niederlage. Für viele war es ja auch wirklich eine Niederlage: Für die Naziführer und ihre Folterknechte, die allein an diesem Ort hier, im ehemaligen Kölner Zuchthaus Klingelpütz mehr als 1.000 Menschen in den zwölf Jahren zwischen 1933 und 1945 ermordeten. Eine Niederlage war es auch für die Teile des deutschen Kapitals, die die Nazis ins Amt gehievt (das war vor allem die Schwer- und Chemieindustrie) und die von Krieg, Unterdrückung und Versklavung Hunderttausender profitiert hatten Das waren die meisten deutschen Unternehmen).
Die Spaltung der öffentlichen Meinung oder genauer gesagt, diese Spaltung der Gesellschaft setzte sich in den 50er Jahren in noch stärkerem Maße fort. Einerseits bekamen die Monopole, die den Faschismus so lange stützten, wie sie durch ihn ihre Profite steigern konnten, nach einer kurzen Unterbrechung wieder eine führende Rolle in der jungen Bundesrepublik, andererseits meinten die USA im Kalten Krieg die Unterstützung durch deutsches Militär zu benötigen – sie wollten die Wiederaufrüstung und eine westdeutsche Armee. Wer aber waren die Militärexperten? Natürlich diejenigen, die wenige Jahre vorher die Brandfackel des Krieges durch Europa getragen hatten. Und so gab es weder bei der Bundesregierung unter Kanzler Konrad Adenauer, noch bei der NATO oder in Washington irgendwelche Skrupel, alte Nazimilitärs, Nazigeheimdienstler, Nazibürokraten wieder in Amt und Würden zu bringen. Ein Gedenken an den Tag der Befreiung hätte da nur gestört, verunsichert und dem dringend benötigten Wehrwillen, der Bereitschaft zu töten und notfalls getötet zu werden, geschadet.
Stattdessen gab es eine seltsame Mischung aus Gedenken an ausgesuchte Opfergruppen der Nazis, der Erinerung an einige wenige, meist konservative Widerständler und vor allem Selbstmitleid: „Die Deutschen“ hätten ja selbst am meisten unter Krieg unf Naziterror gelitten. Deshalb sollte keinesfalls mehr zwischen Tätern und Opfern unterschieden werden. Wir stehen hier an einem Platz, wo das augenfällig wird – wenn man es weiß. Am 28. Januar, in der Gedenkfeier anlässlich des Jahrestages der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz, konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer folgendes lernen:
(…) am 25. Mai 1945 werden auf dem Gelände des Klingelpütz sieben Leichen gefunden, die dort von der Gestapo verscharrt worden waren. Es sind sechs Männer und eine Frau. Es wird angenommen, dass es sich um ehemalige Zwangsarbeiter handelt. Man lässt sie von hochrangigen Kölner Nazis ausgraben.
Am 3. Juni 1945 werden sie am Hansaplatz beerdigt. Hierfür hatten sich verschiedene Verfolgtenverbände und die Stadt eingesetzt. 1500 Teilnehmer kommen für diese Einweihungsfeier zusammen. Auf der Grabplatte steht geschrieben:
Hier ruhen sieben Opfer der Gestapo. Dieses Mal erinnere an Deutschlands schandvollste Zeit 1933 – 1945 (…)
Am Mahnmal Hansaplatz, dem Ort der politischen Identifikation, wird dagegen eine Abschwächung der eindeutigen Aussage über die Täter vorgenommen. Am 22.5.1959 wird neben dem schlichten Gedenkstein eine stehende Skulptur des niederländischen Künstlers Mari Andriessen aufgestellt: „Frau mit totem Kind“. Sie hat keinen inhaltlichen Bezug zu den dort beerdigten Zwangsarbeiterinnen. Die Plastik ist ursprünglich Teil einer großen 6-teiligen Skulpturengruppe, die Andriessen in den Jahren 1947 bis 1951 fertigte. Dieses Ensemble steht im niederländischen Enschede, wo sie an die Befreiung von der deutschen Besatzung erinnert. Die von der Kölner Stadtverwaltung ausgesuchte Teilfigur trägt den Namen „Bomslachtoffer“ (Bombenkriegsopfer). Die vermutlich niederländische Frau trägt ein von Deutschen getötetes Kind im Arm! Die Aufstellung des Zweitgusses dieser bildhauerischen Arbeit neben dem Kölner Gedenkstein, der niedriger und weniger sichtbar ist, verändert die ursprüngliche Aussage des Mahnmals. Die deutschen Zivil- und Kriegstoten des 2. Weltkrieges werden nun in den Vordergrund gerückt.
Liebe Freunde,
warum aber begehen wir noch heute, 73 Jahre nach Ende des Krieges den Tag der Befreiung? Die Antwort ist einfach: Weil diejenigen, die nicht bereit sind, aus der Geschichte zu lernen, in der Gefahr schweben, sie wiederholen zu müssen – und das gilt es unter allem Umständen zu verhindern. Was aber können wir lernen?
Die Machtübertragung am 30. Januar 1933 erfolgte nicht aus heiterem Himmel. Ihr gingen voraus der Aufstieg der NSDAP zur Massenpartei, Hunderte von Morden an Antifaschist(inn)en und Antifaschisten, beginnend mit den Morden an Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Kurt Eisner, Gustav Landauer in den ersten Monaten des Jahres 1919. Auch deren Mörder trugen schon das „Hakenkreuz am Stahlhelm“ wie sie selber sangen. Weiter gingen dem 30 Januar 1933 voraus eine verstärkte Repression gegen die linke Opposition und die offizielle wie die geheime Aufrüstung der Reichswehr. All das waren Trittsteine auf dem Weg in den Faschismus. Begehbar wurde der Weg, weil sich die Antifaschistinnen und Antifaschisten nicht auf einen gemeinsamen Widerstand gegen Rechtsentwicklung und Naziterror einigen konnten.
Wie sieht es heute aus, stehen wir wieder vor einem neuen Faschismus, einer Naziherrschaft 2.0? Natürlich nicht, wir leben in einer Demokratie mit allen bürgerlichen Freiheiten. Doch diese Freiheiten sind wieder in Gefahr! Diesmal nicht durch ein neues Ermächtigungsgesetz, sondern durch ihren langsamen Abbau. Die Freiheit stirbt stückweise:
Die AfD eine völkische, rassistische, frauen- und minderheitenfeindliche Partei mit einem starken faschistischen Flügel erstarkt zusehends, ist in einigen Gebieten bereits zweitstärkste Partei!
Viele Themen der AFD werden von anderen Parteien übernommen, angeblich, um die Rechten nicht zu stark werden zu lassen. Welch ein gefährlicher Unsinn, wer rechte Argumente aufgreift, braucht sich nicht zu wundern, wenn die Menschen statt der schwarzen Kopie dann lieber das braune Original wählen!
Die Repression gegen die linke Opposition nimmt zu: In Hamburg beim G 20-Gipfel (aber nicht nur dort) werden Demonstrationen auseinandergeprügelt, werden schwerste Verletzungen von Demonstantinnen und Demonstranten nicht nur in Kauf genommen, sondern offenbar auch angestrebt. Mit neuen Gesetzen wird ein „Unterbindungsgewahrsam“ bis zu mehreren Wochen eingeführt – früher hieß das mal Schutzhaft!
Von einer verstärkten geheimdienstlichen Überwachung linker und antifaschistischer Menschen brauchen wir kaum noch zu reden: In Kassel war der hessische Verwaltungsgerichtshof tatsächlich der Meinung, Silvia Gingold, Tochter der Widerstandskämpfer Etty und Peter Gingold, und in den 70er Jahren bekanntes Berufsverbotsopfer, müsse u.a. deshalb vom Verfassungsschutz bespitzelt werden, weil sie einer Organisation angehöre, die sich auf den Schwur von Buchenwald beziehe. Diese Organisation ist die VVN-BdA!
Der Schlussstein ist dann der ideologische Roll-Back, der die Nazidiktatur mit der antifaschistischen DDR gleichsetzt, die Nazis zur Reaktion auf die Oktoberrevolution und die Sowjetunion erklärt, behauptet, der „Klassenterror“ sei dem „Rassenterror“ vorausgegangen, die wirtschaftlichen Eliten der späten Weimarer Republik für unschuldig am Aufstieg der Nazis erklärt und reinwäscht und den Schwur von Buchenwald für linksextremistisch erklärt.
Gegen all diese Erscheinungen müssen wir kämpfen, um einer menschenfeindlichen Ideologie und Politik keinen Raum zu lassen. Umstritten unter uns ist, wie wir diese Auseinandersetzung am besten führen. Die VVN-BdA ist der Meinung, dass die wichtigste Lehre des Faschismus darin besteht, möglichst breite Bündnisse zu schließen, um gegen Rechts zu kämpfen. In diesem Kampf müssen wir auch mit Gruppen zusammenarbeiten, mit denen uns sonst wenig bis nichts verbindet. Das heißt nicht, das wir nicht mehr miteinander inhaltlich streiten. Aber wenn wir uns in der Hauptsache einig sind, und diese Hauptsache heißt „Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg!, dann dürfen wir im Kampf gegen Rechts niemanden ausgrenzen. Grundlage unseres gemeinsamen Kampfes könnte der Schwur von Buchenwald sein, den ich bereits mehrfach genannt habe. Lasst ihn mich zitieren:
Wir schwören deshalb vor aller Welt auf diesem Appellplatz, an dieser Stätte des faschistischen Grauens: Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht. Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.