Haltung und Beschlusslage der DGB-Gewerkschaften zu Krieg und Frieden
Unser Ko-Sprecher Hans-Achim Brandt hielt bei unserem Gruppentreffen am 25.4.2024 den folgenden Vortrag:
Vor 100 Jahren begann der Erste Weltkrieg, vor 75 Jahren der Zweite. Beide Jahrestage machen den diesjährigen Antikriegstag zu einem zentralen Tag der Erinnerung und des Mahnens. Auch heute gilt: Kriege kommen nicht über uns – sie werden gemacht. Gewalt geht von Menschen aus – und trifft Menschen. Sie werden getötet, verwundet und vertrieben. Ihr Leben wird bis in die Grundfesten erschüttert – während andere aus Kriegen Profite schlagen oder ihre Machtinteressen durchsetzen. Daran erinnern der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften seit 1957 nicht nur am Antikriegstag: Nie wieder darf Krieg von deutschem Boden ausgehen.
Die im Grundgesetz festgelegte Aufgabe der Bundeswehr zur Landesverteidigung wird seit Jahren in Richtung internationaler Interventionen verschoben. Der DGB sieht dies kritisch und fordert die Bundesregierung und den Bundestag auf, weder direkt noch indirekt militärische Interventionen zu unterstützen, die nicht von einem UN-Mandat gedeckt sind.
(Zitat aus dem Aufruf des DGB zum Antikriegstag von 2014)
Der 10 Jahre alte Aufruf des DGB erscheint heute wie aus einem anderen Zeitalter. Im Rahmen des NATO-Manövers Steadfast Defender marschieren deutsche Soldaten an der russischen Grenze auf. Der Einsatz von Atomwaffen liegt im Bereich des Möglichen. Wo bleiben die Gewerkschaften?
In Italien, Frankreich, Griechenland und Belarus haben Hafenarbeiter und Eisenbahner den Transport von militärischen Gütern, wie Waffen und Munition behindert. Aus Deutschland fehlen Nachrichten über antimilitaristische Aktionen der Arbeiterschaft. So werden Bremerhaven und Rostock immer mehr zur Drehscheibe von schweren Waffen, wie Panzern. Mehrere hundert Schiffe mit Kriegsmaterial für die Ukraine sind bereits aus den USA eingetroffen. Streikende Werftarbeiter, protestierende Gewerkschaften – Fehlanzeige in Deutschland.
Eindeutige Forderungen gegen Aufrüstung und Kriegsführung wie:
- Keine Waffenlieferungen in Kriegsgebiete
- Keine Auslandseinsätze der Bundeswehr
- Ablehnung der 100 Milliarden Euro Sonderschulden für die Rüstungsindustrie
fehlen in den aktuellen Erklärungen des DGB und der Einzelgewerkschaften.
In der Erklärung des DGB zum Antikriegstag im ersten Kriegsjahr 2022 wird ganz patriotisch die Kriegsschuld beim Feind verortet:
Russlands autokratisches Regime verfolgt eine brutale Politik der militärischen Konfrontation und Eskalation.
Eine eindeutige Forderung an unsere Regierung, die Kriegshandlungen einzustellen, fehlt. Im zweiten Kriegsjahr 2023 fordert der DGB konsequenterweise die russische Regierung auf, die Truppen zurückzuziehen. Von der Osterweiterung der NATO oder einem Austritt aus diesem Kriegsbündnis – kein Wort.
Für die überwiegend pazifistischen Mitglieder wird das ganze mit unverbindlichen friedenspolitischen Forderungen umrahmt. An Peinlichkeit kaum zu überbieten ist jedoch die Forderung an die Bundesregierung:
Haben Sie den Mut, mehr Diplomatie zu wagen!
An dieselbe Bundesregierung, welche zur militärischen Führungsmacht in Europa aufsteigen will.
Gegen die Solidarisierung der Gewerkschaften mit der Kriegspolitik der Bundesregierung formiert sich Widerstand. Zum Gewerkschaftstag von Verdi im September 2023 forderten über 10.000 Mitglieder und Gewerkschaftsfunktionäre mit einer Petition ein deutliches „Nein zu Krieg, Militarismus und Burgfrieden“. Die Kolleginnen und Kollegen wurden mit Verfahrenstricks ausgebootet und konnten sich nicht durchsetzen.
Im Oktober 2023 trafen sich 421 Delegierte zum Gewerkschaftstag der IG Metall. Der zweite Vorsitzende der IG Metall Jürgen Kerner outete sich als Mann der Rüstungsindustrie:
Ich bin der festen Ansicht, dass wir diese Branche in Deutschland und Europa halten müssen.
Bereits Juli 2014 verlangte Jürgen Kerner, damals Mitglied des geschäftsführenden Vorstands der IG Metall:
Wenn wir uns über deren Anschaffung einig sind, dann sollten die Drohnen in Deutschland entwickelt werden.
Dagegen gab es in den 1980er Jahren in über 20 Rüstungsbetrieben Arbeitskreise, welche sich mit der Umstellung von Waffenproduktion auf gesellschaftlich sinnvolle Produkte befassten, so bei der Werft Blohm und Voss in Hamburg. Die IG Metall hatte dazu 1992 sogar eine bundesweite Konversionskonferenz organisiert.
Im Gegensatz zu Jürgen Kerner forderte vergangenen Herbst eine Vielzahl von Gewerkschaftsgliederungen mit Änderungsanträgen ein klares Bekenntnis der IG Metall gegen den Krieg und gegen Waffenlieferungen. Die anschließend einstimmig angenommene Erklärung „Für eine verantwortliche Politik für Frieden und Sicherheit“ setzt jedoch die Anpassung der deutschen Gewerkschaften an die Kriegspolitik der Regierung fort. Auch wenn einige Stellen des Leitantrages entschärft wurden, wird laut IG Metall ausschließlich von der russischen Führung Tod, Leid und Zerstörung über die Zivilbevölkerung gebracht. Als ob es im Krieg nur eine Seite der Front gäbe.
1999 während der Zerstörung Jugoslawiens durch Militärs der NATO-Staaten, begonnen auf Initiative Deutschlands, hatten der damalige DGB-Vorsitzende Dieter Schulte und der Bundesvorstand des DGB den NATO-Kriegseinsatz befürwortet. Es zeigt sich immer wieder, dass das führende Personal der Gewerkschaften unzertrennlich mit dem bürgerlichen Staat und dessen Interessen verwoben ist.
Erinnert sei an die Unterwerfung des Vorläufers der DGB-Gewerkschaften, dem ADGB unter die Diktatur von NSDAP und Deutschnationaler Volkspartei. Anfang Februar 1933 erklärte die Führung des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbunds (ADGB) ihre politische Neutralität gegenüber dem Regime. Nachdem am 1. Mai 1933 die Gewerkschaften mit der Regierung den Tag der nationalen Arbeit feierten, wurden am nächsten Tag die Gewerkschaftshäuser gestürmt und viele Funktionäre festgenommen, verschleppt und gefoltert. Zu viele Gewerkschafter bezahlten diesen politischen Fehler mit ihrem Leben.
Im diesjährigen Aufruf des DGB zum Ostermarsch werden bereits im ersten Absatz die Rechtsextremen und nicht die Bundesregierung angegriffen, weil diese das europäische Friedensprojekt zerstören würden. Was soll „das europäische Friedensprojekt“ sein? Eine Verständigung mit der Russischen Föderation wurde abgelehnt und stattdessen die EU und die NATO immer weiter nach Osten erweitert! Wieso heißt das beim DGB „Friedensprojekt“? Weiterhin werden im Ostermarschaufruf die barbarischen Massaker der Hamas angeprangert. Von der Siedlungspolitik Israels und der Tötung zehntausender Menschen durch das israelische Militär kein Wort.
Selbst in dem aktuellen Aufruf progressiver Gewerkschafter an die Gewerkschaftsvorstände „Gewerkschaften gegen Aufrüstung und Krieg! – Friedensfähigkeit statt Kriegstüchtigkeit“ fehlen konkrete Forderungen wie:
- Keine Waffenlieferungen in Kriegsgebiete
- Keine Auslandseinsätze der Bundeswehr
- Ablehnung der 100 Milliarden Euro Sonderschulden für die Rüstungsindustrie
Nach dem 2. Weltkrieg war sich die deutsche Bevölkerung einig, nie wieder darf Krieg von deutschem Boden ausgehen. Bis auf wenige Ausnahmen wird diese pazifistische Haltung heute nicht mehr durch die Gewerkschaften repräsentiert.
Wir freuen uns, wenn dieser Text zu Diskussionen mit und in Gewerkschaften beiträgt!