Kathrin Vogler, MdB: „Wir brauchen nicht immer mehr Kriegsvorbereitung, sondern eine Politik, die den Frieden vorbereitet.“

Hier dokumentieren wir die Rede der Bundestagsabgeordneten Kathrin Vogler (Die Linke) beim Ostermarsch am 30.03.2024 in Köln:


Liebe Freundinnen und Freunde,

Eine Frau mit kurzen schwarzgrauen Haaren spricht in ein Mikro. Dahinter ein Transparent mit "Nie wieder Faschismus - nie wieder Krieg!" teilweise zu sehen.

Kathrin Vogler, MdB, beim Ostermarsch, Roncalliplatz, Köln, 30.3.2024. Foto: Stefanie Intveen

In diesen Zeiten ist eine starke Friedensbewegung so nötig wie nie. Es ist nicht mehr fünf vor zwölf, sondern schon eine Minute davor.

Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber für mich kann ich sagen: Der Überfall Russlands auf die Ukraine vor gut zwei Jahren hat mich erschüttert. In Borodjanka vor den  erschossenen Wohnhäusern zu stehen oder in Butscha mit einer Überlebenden zu sprechen, die ihren Mann und ihr Zuhause durch die russische Armee verloren hat, Binnengeflüchtete zu treffen, die schon zum zweiten Mal aus ihren Dörfern in der Ostukraine vertrieben wurden – das macht was mit einem, das steckt man nicht einfach so weg.

Ich habe aber daraus andere Schlüsse gezogen als die Bundesregierung und die CDU/CSU, die immer noch behaupten, dass dieser Krieg auf dem Schlachtfeld gewonnen werden kann, wenn man nur genügend Waffen und Munition liefert und dass weitere Kriege in Europa vor allem dadurch verhindert werden könnten, dass man maximal aufrüstet. Was für ein Irrsinn!

Während viele von uns verunsichert und erschüttert waren, nutzten die Strategen in der Bundesregierung und der EU-Kommission schnell die Gelegenheit, frei nach dem Motto „verschwende nie eine gute Krise“. Im Handumdrehen wurde diese Krise zur „Zeitenwende“ erklärt, der Rüstungshaushalt in die Höhe geschraubt und 100 Milliarden Sonderschulden gemacht, mit denen die langjährige Wunschliste von Bundeswehr und Rüstungsindustrie abgearbeitet werden konnte.

Und jetzt ist die Militarisierung der Gesellschaft dran!

Im November befahl Kriegsminister Pistorius, unser Land müsse endlich kriegstüchtig werden. „Wir reden über die Fähigkeit, einen Krieg führen zu können“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. (Quelle).Versteht der Mann nicht, dass es zwei paar Schuhe sind, einen Krieg zu führen und ihn auch zu gewinnen?

Die anderen Ministerien stehen gleich stramm: Finanzminister Lindner will für mehr Rüstung Sozialausgaben einfrieren und Gesundheitsminister Lauterbach fordert eine Zeitenwende für das Gesundheitssystem. Das soll jetzt auf den militärischen Bündnisfall vorbereitet werden.(Quelle)

Hinter den Kulissen läuft das schon längst: Wir sprachen vor einiger Zeit im Gesundheitsausschuss des Bundestags über die Behandlung ukrainischer Verletzter. Ich habe dann nachgefragt, warum die meisten gar nicht in den besonders dafür geeigneten Bundeswehrkrankenhäusern behandelt werden. Darauf erklärte der Chef des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, das sei Absicht, damit auch die Beschäftigten in zivilen Kliniken schon mal lernen, mit Kriegsverletzungen umzugehen. Ich finde das zynisch in jeder Hinsicht!

Ich würde es begrüßen, wenn der Gesundheitsminister sich darum kümmern würde, dass das Gesundheitssystem in Deutschland erstmal friedenstauglich gemacht wird. Es ist doch irre, dass in jedem Winter Eltern Dutzende Apotheken abklappern müssen, um Hustensaft für ihre Kinder aufzutreiben.

Es kann doch nicht angehen, dass jetzt in der ganzen Welt die Pflegekräfte abgeworben werden, um hier die Pflegekrise zu heilen, während seit Jahrzehnten Hunderttausende Pflegekräfte durch die beschissenen Arbeitsbedingungen ins Burnout und aus dem Beruf hinausgetrieben wurden. Reihenweise gehen schon jetzt, vor der großen Krankenhausreform überall im Land die Krankenhäuser pleite – darum sollte sich Lauterbach mal lieber kümmern!

Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger von der FDP möchte die Schulen kriegstüchtig machen. Sie sollen ein „unverkrampftes Verhältnis zur Bundeswehr“ entwickeln und noch mehr Jugendoffiziere in die Klassen holen. Und der  Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes will sogar schon in den Kitas mit Zivilschutzübungen anfangen.

Als ob es in einem Krieg in Deutschland, der mit großer Wahrscheinlichkeit ein Atomkrieg wäre, etwas nützen würde, wenn man sich unter dem Spiel􀆟sch verkriecht – völlig daneben!

Lasst unsere Kinder lieber lernen, wie man Konflikte gewaltfrei bewältigt und Frieden schließt. Und nehmt ihnen diesen verfluchten Leistungsdruck und dieses  Konkurrenzdenken von den kleinen Schultern. Das wäre ein Beitrag zur Widerstandsfähigkeit dieser Gesellschaft, denn nur Solidarität macht stark!

In Bayern ist jetzt gar gesetzlich die Förderung der Bundeswehr vorgeschrieben. An bayrischen Unis werden Zivilklauseln verboten, die den Ausbau der  Rüstungsforschung behindern könnten. Aber wenn wir Linke für das Klima Privatjets verbieten wollen, dann sind wir eine Verbotspartei? Lächerlich!

Ich sage: Wir brauchen nicht immer mehr Kriegsvorbereitung, sondern eine Politik, die den Frieden vorbereitet. Es wird ja nicht nur im Sozialen gekürzt, sondern auch bei ziviler Konfliktbearbeitung, Friedensforschung, Entwicklungszusammenarbeit und bei der Demokratieförderung, überall da, wo es um Prävention und gewaltfreie Bewältigung von Konflikten geht. Und es werden jetzt ganz unverhohlen Waffen und Munition in Kriegs- und Krisengebiete und an patriarchale Diktaturen wie Saudi-Arabien geliefert, ausgerechnet von den Grünen, die ansonsten gern mal von feministischer Außenpolitik reden.

Bei dem verbalen Trommelfeuer, das auf alle herniedergeht, die einen Waffenstillstand und Verhandlungen auch nur ganz vorsichtig ins Gespräch bringen, muss man fast befürchten, dass man bald nicht nur in Bayern schon verdächtig ist, wenn man für mehr zivile Konfliktbearbeitung wirbt oder über das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aufklärt.

Ein Symbol dafür sind die Reaktionen auf die Rede von Rolf Mützenich im Bundestag. Dabei hat der eigentlich nur gesagt, dass wir vielleicht nicht nur darüber nachdenken sollten, wie wir immer mehr Waffen an die Ukraine liefern können, sondern auch darüber, wie dieser Krieg beendet werden könnte. Dafür wurde er öffentlich geradezu hingerichtet, selbst von Leuten aus seiner Koalition und seiner eigenen Partei. Dabei hat er weder die Waffenlieferungen noch die Aufrüstung kritisiert, schließlich hat er das ja alles mitgetragen. Er wollte nur eine weitere Option in die Debatte bringen.

Ich bin wirklich entsetzt, mit welchem Zynismus dafür getrommelt wird, dass der Krieg die einzige legitime Option bleibt. Natürlich ist die Ukraine völkerrechtlich im Recht, wenn sie ihr Staatsgebiet zurückerobern will. Aber darf man hierzulande nicht mehr darauf hinweisen, dass jeder Tag, den dieser Krieg länger geht, Menschenleben kostet?

Alle die fragen, wie viele Opfer an Menschenleben und Infrastruktur noch gebracht werden sollen, alle, die darüber nachdenken, wie man in eine Verhandlungslogik einsteigen kann – sie alle, vom UN-Generalsekretär über den Papst bis zum SPD-Fraktionsvorsitzenden, werden in der deutschen Öffentlichkeit so niedergeschrien, dass sich kaum noch jemand traut, das Wort Waffenstillstand zu benutzen. Deshalb sage ich das hier umso lauter: Selbstverständlich brauchen wir zuallererst einen Waffenstillstand – nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Gaza und im Sudan!

Der erste Schritt zur Friedensfähigkeit ist es, zu fragen, wie man aus einer Kriegslogik heraus und in eine Friedenslogik hineinkommt. Zu dieser Frage würde ich mir im Fernsehen Talkshows und Wissenschaftssendungen wünschen, zur besten Sendezeit und mit internationalen Expert:innen.

Das ist doch aktuell die wichtigste Frage überhaupt, die gesellschaftlich diskutiert werden muss: „Wie kommen wir da wieder raus?“

Ich bin überzeugt, das geht nur, wenn wir das Völkerrecht stärken. Ich sage bewusst „Völkerrecht“, nicht „regelbasierte Ordnung“, wie die Regierung es nennt. Denn „regelbasierte Ordnung“ heißt in Wirklichkeit, dass alle sich an Regeln halten müssen, nur der sogenannte Wertewesten nicht, weil der ja für das Gute steht. Nein, es muss schon das Völkerrecht sein, das für alle gilt, auch wenn nicht für jede Situation die passende Lösung hat.

Denn zum Glück gibt es Möglichkeiten, das Völkerrecht weiterzuentwickeln.

Ein Beispiel: Seit 2021 gilt der UN-Atomwaffenverbotsvertrag. Seitdem sind Atomwaffen verboten. Derzeit haben 93 Staaten den Vertrag unterzeichnet, fast die Hälfte der UN-Mitgliedsstaaten. Je mehr dazukommen, umso mehr steigt der Druck auf die Atomwaffenstaaten und ihre Verbündeten. Und dieser Druck muss auch aus der Gesellschaft kommen, von unten. Ohne das unermüdliche Engagement von vielen tausend Aktivist:innen aus verschiedenen Ländern wäre dieser Vertrag nie zustande gekommen. Auch deshalb ist kommunale Friedensarbeit so wichtig: Jede Stadt, jede Gemeinde, die sich für das Atomwaffenverbot ausspricht, ist ein Nagel im Sarg der Atomwaffenideologie.

Die Stärkung des Völkerrechts würde auch helfen, die irrsinnige Hochrüstung einzusparen. Denn wir brauchen unsere Ressourcen dringend für  Zukunftsinvestitionen in die Infrastruktur, in unser Bildungswesen, ins Gesundheitssystem und ganz dringend in den sozialökologischen Wandel, nicht nur in Deutschland, sondern international.

Schon 2021 gaben allein Großbritannien, Deutschland, Frankreich und Italien mehr als dreimal so viel für ihr Militär aus wie Russland. Und da frage ich: Wieviel höher müssen unsere Rüstungsausgaben eigentlich sein als die Russlands und Chinas, damit wir uns in der Logik der Abschreckung sicher fühlen können?

Extreme Hochrüstung hat noch nie in der Menschheitsgeschichte einen Krieg verhindert. Zur Abschreckungslogik gehört die unbedingte Bereitschaft, Krieg so konkret wie möglich vorzubereiten und auch zu führen. Abschreckung ist Kriegsvorbereitung und das lehnen wir ab, liebe Freund:innen!

Wenn man Sicherheit nicht aus einer Abschreckungsperspektive betrachtet, sondern die Frage stellt, wie verlässlich Menschen ihr Leben planen können, dann steht es um die Sicherheit für viele Menschen in Deutschland nicht gut.

Die jahrzehntelange Kürzungspolitik hat dazu geführt, dass marode Straßen und Brücken inzwischen zum Landschaftsbild gehören. Wer wie ich viel mit der Bahn fährt, merkt, wie sie immer unzuverlässiger wird. Dabei ist die Bahn ein bundeseigenes Unternehmen. Trotzdem wurde sie derart auf Rendite getrimmt, dass Wartungen und Reparaturen so lange vernachlässigt wurden, bis nur noch Neubau hilft. Den muss dann gleich der Bund bezahlen und die Bilanz der Bahn sieht wieder besser aus. So, liebe Freund:innen, kann man keine ökologische Verkehrswende machen!

Die 45 Milliarden, die bei der Bahn fehlen, wären problemlos finanzierbar, hätte sich die Bundesregierung nicht seit 2001 Milliarden in das von Frankreich geführte Kooperationsprojekt für ein neues Luftkampfsystem, das sogenannte FCAS, gesteckt, das nach Einschätzung von Bundeswehrkreisen schon veraltet ist, bevor der erste Flieger abhebt.

Ist das Generationengerechtigkeit, wenn wir unseren Enkeln und Urenkeln zwar neues, wenn auch nicht unbedingt modernes Kriegsgerät, aber eine kaputte Infrastruktur hinterlassen?

Oder schauen wir uns die Schulen an. Die sind derart veraltet, dass mancherorts Eltern bei Unternehmen um ausgediente Computer für den Unterricht betteln müssen. Eltern müssen in ihrer Freizeit Klassenzimmer renovieren, weil die Städte und Gemeinden unterfinanziert und durch die Schuldenbremse geknebelt sind.

Die britische Friedensbewegung hatte mal einen Aufkleber mit der sehr klugen Frage: „Wir wäre es, wenn unsere Schulen alles Geld bekämen, was sie brauchen, und die Armee müsste einen Kuchenbasar machen, um neue Munition zu beschaffen?“

Das sollten wir doch mal ausprobieren!

Die Ampel schafft es sogar, bei ihren zögerlichen Maßnahmen gegen den Klimawandel noch den sozialen Ausgleich einzusparen. Den Menschen mit einem Klimageld, wie versprochen, einen Teil der zusätzlichen Kosten zurückzugeben, wäre wichtig für die Akzeptanz von Klimaschutz. Aber je mehr Geld in die Aufrüstung fließt, umso weniger bleibt für sozialen Ausgleich übrig.

Tatsächlich wäre Abrüstung sogar ein sehr direkter Klimaschutz. Allein das US-Militär war schon vor einigen Jahren für 5% des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich und hat damit genauso viel zum Klimawandel beigetragen, wie alle afrikanischen Länder gemeinsam. Ohne Abrüstung und ein Ende der Kriege, gibt es dauerhaft keine Lebensgrundlage für unsere Kinder und Enkelkinder auf diesem Planeten.

Und wenn ich gerade bei den Kindern bin: Der Europarat beklagt die hohe Kinderarmut in Deutschland. Eine echte Kindergrundsicherung wäre ein wichtiges Instrument, um Kinder aus der Armut zu holen. Mit den zehn Milliarden Euro, für die die Bundesregierung die neuen Atombomber F-35 kaufen will, wäre die Kindersicherung so ausfinanziert, wie die Familienministerin den Bedarf ursprünglich berechnet hatte.

Es liegt auf der Hand: wer ein soziales Land, ein sicheres Leben und einen entschlossenen Kampf gegen die Klimakrise möchte, der und die muss sich gegen Aufrüstung, Militarisierung und Kriegsrhetorik stellen – und zwar überall. Danke, dass ihr euren Rücken gerade macht und euch nicht einschüchtern lasst. Machen wir unser Land friedenstüchtig. Es lohnt sich.


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