Sarah vom Frauenkollektiv Köln zur Ausgangssperre: „Bundesregierung denkt an Hundebesitzer:innen, die Gassi gehen, aber vergisst die von Gewalt betroffenen Frauen!“
Rede von Sarah für das Frauenkollektiv Köln bei der Kundgebung am 17.04.2021 „Nein zur Ausgangssperre!“:
Der Anlass meiner Rede ist, dass es aus der Politik erste Vorschläge gibt für einen Gedenktag an die Pandemie-Toten. Politiker:innen schlagen diesen Tag immer mit dem selben Tenor vor: Das trifft alle gleich, ein Einschnitt für die gesamte Gesellschaft, zusammen haben wir das geschafft. Aber das stimmt nicht, das Virus trifft nicht alle gleich!
Die Pandemie nicht konsequent zu bekämpfen, ist ein Angriff auf uns als Arbeitende. Wir sind an vorderster Front, wir müssen die Wohnung verlassen, wir haben Kund:innenkontakt. Nun, in der dritten Welle, können wir außerdem auch noch traurigerweise auf eine Fülle von Daten zu Tod und Sterben zurückblicken. Und wir sehen: wir, also Arbeiter:innen, Arme, Menschen in prekären Lebenssituationen, sind auch häufiger gestorben!
Das Robert Koch Institut hat in einer Studie soziale Herkunft und Covid-Sterblichkeit in Zusammenhang gesetzt. Der Anstieg der COVID-19-Todesfälle fiel in sozial benachteiligten Regionen Deutschlands am stärksten aus – sowohl bei Männern als auch bei Frauen. Im Dezember und Januar lag die COVID-19-Sterblichkeit in sozial stark benachteiligten Regionen um rund 50 bis 70 Prozent höher als in Regionen mit geringer sozialer Benachteiligung.
Nicht nur das. So, wie die Pandemie aktuell gemanaged wird, ist es ein expliziter Angriff auf Frauen und Mädchen. Das Pandemiemanagement von Staat und Konzernen versucht die Fortschritte, die wir über Jahrhunderte erkämpft haben, rückgängig zu machen. Schon seit Jahrzehnten war es um rechtliche und finanzielle Gleichstellung der Geschlechter nicht mehr so schlecht bestellt. Danke an alle, die nicht müde werden, das sichtbar zu machen. Aber heute möchte ich über die Ausgangssperre als einen ganze expliziten Angriff auf uns Frauen und Mädchen sprechen!
Auch andere Länder haben die repressive und sinnfreie nächtliche Ausgangssperren verhängt. Dort wird aber oft propagiert: Das Haus zu verlassen, weil es häusliche, partnerschaftliche Gewalt gibt, ist ein legitimer Grund – zu jeder Uhrzeit!
In Deutschland gibt es das nicht. An die Hundebesitzer:innen, die Gassi gehen, kann die Bundesregierung denken, aber die von Gewalt betroffenen Frauen wurden vergessen. Und dabei sind sie viele!
Wenn ihr mal in einem größeren Mietshaus oder einer Reihenhausreihe gelebt habt, dann könnt ihr sicher sein: Häusliche Gewalt gegen Frauen und Mädchen gibt und gab es auch in eurer Nachbarschaft. Für sie ist das eigene Zuhause kein sicherer Ort und die Ausgangssperre macht es zu einem Gefängnis. Häusliche Gewalt findet nicht nur zwischen 5 und 21 Uhr statt. Statt von Gewalt Betroffene zu schützen – und wir wissen, die Gewalt nimmt in Pandemie und Wirtschaftskrise zu – gibt es nicht mal eine Ausnahme von der Ausgangssperren. Flucht vor häuslicher Gewalt ist im Moment kriminalisierbar!
Nichts gegen die Hunde, und mir ist Tierschutz sehr wichtig, aber: In Deutschland ist es wichtiger, dass Hunde draußen Pipi machen, als dass Frauen und Mädchen sichere Orte aufsuchen können oder einfach eine gewaltvolle Situation verlassen.
Und jetzt denkt vielleicht der oder die eine oder andere: einfach draußen rumlaufen ist ja noch kein sicherer Ort, wer in so einer Situation lebt, der muss doch in ein Frauenhaus! Richtig, alle, die von Gewalt betroffen sind, müssten das Recht und die Möglichkeit haben, in Sicherheit untergebracht zu werden. Aber aus meinem Arbeitsalltag und dem vieler anderer, die beruflich für andere sorgen, weiß ich: die Plätze sind voll, die Betten belegt, ganze Stationen in Quarantäne, eine Unterbringung unmöglich!
Damit kommen wir zum nächsten Ausdruck davon, dass die Pandemie eben nicht alle gleich trifft, denn das gilt nicht nur für Frauenhäuser, das gilt für verschiedenste Notunterkünfte und auch für viele Psychatrien. Zu einer Zeit, zu der unter LGBT Jugendlichen die Suizidrate auf einem Rekordhoch ist, haben sie es noch schwerer als sonst, angemessene Versorgung zu bekommen.
Ich könnte ewig so weiter machen, aber was ich sagen will, ist jetzt schon klargeworden. Das Virus macht keine Unterschiede, die Klassengesellschaft und das Pandemiemanagement der Bundesregierung aber schon.
Deswegen fordern wir: ein Pandemiemanagement, das statt der Profite unsere Bedürfnisse und Gesundheit schützt und sichert! Und damit sich sowas nicht wiederholen kann, setzen wir uns ein für eine Gesellschaft frei von Ausbeutung, Patriarchat und Rassismus. Für eine Gesellschaft, in der wir selbst dafür Verantwortung übernehmen können, uns gegenseitig zu schützen!
Wir bedanken uns herzlich bei Sarah für die Möglichkeit, ihre Rede hier zu veröffentlichen – und hoffen, dass die Verantwortlichen für die Corona-Politik gut hinhören!