Nachtrag: Leserbrief zum Interview mit Manfred Weber (EVP): Doktrin der atomaren Abschreckung ist empirisch widerlegt

Am 14.2.2020 veröffentlichte der Kölner Stadtanzeiger (Print-Ausgabe) ein Interview mit Manfred Weber, Fraktionschef der EVP im EU-Parlament über die Säulen einer EU-Verteidigungspolitik und Libyen: „Wir brauchen eine europäische Armee“. Darin lobt er die Möglichkeit, während der Münchener Sicherheitskonferenz vertrauliche Gespräche zu führen und hofft auf „ein gutes Signal für Europas Handlungsfähigkeit in der Welt“. Positiv hebt er hervor:

Frankreichs Präsident Macron wird die Debatte um eine eigenständige europäische Sicherheitspolitik beleben. Nach dem Brexit ist Frankreich die letztverbliebene europäische Atommacht. Macron streckt die Hand zu uns aus.

Gefragt, ob er glaube, Frankreich teile seine Atomsprengköpfe mit den Europäern, anwortet er:

Es stellt uns jedenfalls vor die Frage, ob die EU einen eigenständigen atomaren Schutzschirm braucht. Es müssen sich jetzt nicht alle in Europa Atomwaffen beschaffen. Aber Gedanken zur eigenen und eigenständigen Absicherung sollten wir uns schon machen. Ein starkes Europa stärkt die Nato.

Das Interview enthält eine Reihe weiterer Forderungen und Ideen, die hier nicht weiter betrachtet werden sollen. Der Stadtanzeiger hat keine Leserbriefe zu diesem Interview gedruckt. Daher hier der Leserbrief von Stefanie Intveen zum Nachlesen.


Doktrin der Abschreckung ist empirisch widerlegt – Sicherheit durch Zusammenarbeit schaffen

Manfred Weber setzt voraus, dass es möglich sei, Sicherheit durch Abschreckung mit Atomwaffen zu gewährleisten („atomarer Schutzschirm“). Dabei ist die Doktrin der Abschreckung, also der sicheren gegenseitigen Vernichtung („Mutually Assured Destruction“, MAD) empirisch widerlegt. Ja, der Dritte Weltkrieg ist im 20. Jahrhundert nicht eingetreten. Dies aber nicht wegen der Vollkommenheit der Doktrin und der beiden Kriegsmaschinerien im Westen und im Osten mit all ihrem Personal, ihren Militärorganisationen, ihren Technologien und ihrem irrwitzigen Zerstörungspotenzial, sondern mehrfach durch glücklichen Zufall und richtige Entscheidungen einzelner Menschen unter extremem Stress (Kubakrise 1962, NATO-Manöver Able Archer 1983). Es ist unverantwortlich, solche „Weltuntergangsmaschinen“ (Daniel Ellsberg) zu betreiben.
Seit Ende des Kalten Kriegs ist die Wahrscheinlichkeit eines Atomkriegs aus Versehen wieder stark gestiegen. Anstatt daran zu arbeiten, dass Deutschland über Brüssel Zugriff auf die Bombe erhält, sollte Weber sich lieber für eine vernünftige europäische Sicherheitspolitik einsetzen: internationale Zusammenarbeit, Entspannungspolitik, Achtung der Souveränität anderer Staaten und des Völkerrechts.

Deutschland, Italien, die Niederlande und Belgien haben unter Bruch des Atomwaffensperrvertrags jeweils etwa 20 US-Atombomben B61 auf ihren Territorien stationiert („Nukleare Teilhabe“). Diese bringen keine Sicherheit, sondern steigern das Misstrauen anderer Staaten gegenüber der Außenpolitik der EU-Staaten. Das EU-Parlament sollte sich dafür einsetzen, dass die Mitgliedsstaaten den Atomwaffensperrvertrag endlich einhalten. Schritte zur vollständigen Abrüstung der Atomwaffen entsprechen dem Gemeinwohl der EU-Bürger*innen; die EU-Staaten sollten daher den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnen.

Einfache schematische Darstellung der gegenseitigen Vernichtung zweier Atommächte A und B.

„Wechselseitige Zerstörung und wechselseitiger Selbstmord“. Luftkrieg mit Atomwaffen: Schema der gegenseitigen Vernichtung. Autor: Stefan T. Possony, Spezialist für militärische Aufklärung im Hauptquartier der US-Luftwaffe, 1954.


Stefanie Intveen gehört zu den Sprecher*innen der DFG-VK Gruppe Köln

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