Agnes Kamerichs: Die Zivilklausel an Hochschulen in NRW wirkt! Einladung zur Lesung anlässlich des Jahrestags der Bücherverbrennung
Agnes Kamerichs, Arbeitskreis Zivilklausel der Universität zu Köln, sprach zum Auftakt des Ostermarsches Rhein-Ruhr am 20.4.2019 in Köln.
Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
ich spreche hier über die Verantwortung, die Bildung und Wissenschaft für Frieden und ein Ende der Gewalt haben.
Damit wir ein menschenwürdiges Leben aller Menschen auf dieser Erde verwirklichen können, brauchen wir nicht zuletzt die Hochschulen. Wir brauchen die Forschenden, die Lehrenden, wir brauchen die Studierenden. An den Hochschulen kann diskutiert und erforscht werden: Wie schaffen wir weltweit Frieden? Was sind die konkreten Ursachen von Kriegen? Wie gelingt Versöhnung nach der Beendigung von gewaltsam ausgetragenen Konflikten? Was sind Friedenursachen und wie können sie gefördert werden? Wie kann überhaupt aller Gewalt, ob physisch oder psychisch, entgegengewirkt und sie auf Dauer beendet werden?
Weil wir wollen, dass solchen und anderen für alle Menschen relevanten Fragen an den Hochschulen nachgegangen wird, streiten wir seit Jahren als Teil der Zivilklauselbewegung für die Verankerung von Zivilklauseln an einzelnen Hochschulen und in ganzen Bundesländern.
Zivilklauseln bedeuten, dass Hochschulen sich verpflichten, für friedliche Zwecke zu forschen und zu lehren und keinerlei militärische Forschung zu betreiben.
In NRW gibt es eine Zivilklausel seit 2014. Nach jahrelangem Engagement war damals von Hochschulmitgliedern, insbesondere Studierenden, erkämpft worden, dass die rot-grüne Landesregierung eine Zivilklausel im Hochschulgesetz in NRW verankert hat, diese lautet:
Die Hochschulen entwickeln ihren Beitrag zu einer nachhaltigen, friedlichen und demokratischen Welt. Sie sind friedlichen Zielen verpflichtet und kommen ihrer besonderen Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung nach innen und außen nach.
Seitdem haben alle Hochschulen in NRW in ihren je eigenen Grundordnungen zusätzlich verankert, dass sie zu der Trias von Frieden, Nachhaltigkeit und Demokratie beitragen werden.
Und die Zivilklausel wirkt: Alleine vier rüstungsrelevante Forschungsprojekte sind an Hochschulen in NRW nicht durchgeführt oder abgebrochen worden, weil Menschen durch die Zivilklausel ermutigt waren, „Nein!“ zu sagen. Darunter war auch eine Machbarkeitsstudie des Rüstungskonzerns Rheinmetall an der RWTH Aachen für den Bau einer Panzerfabrik in der Türkei.
Ich sehe neben dem aufrechten „Nein“ zu militärischer Forschung aber noch eine weitere positive Bedeutung dessen, was da 2014 im Hochschulgesetz festgeschrieben wurde: Die Zivilklausel ist ein Contra zum aufreibenden Status Quo an den Hochschulen: zu den prekären Beschäftigungsverhältnissen der Lehrenden, zu den verschulten Bachelor/Masterstudiengängen der Studierenden – sie ist ein Contra überhaupt zum mittlerweile ganz schön angekratzten neoliberalen Dogma: Verwerte dich selbst, mach dich fit für die Leistungsgesellschaft – sonst bist du selber schuld, wenn du in prekärer Beschäftigung und Altersarmut landest und auch sozial außen vor bist.
Die Zivilklausel hat in NRW zu einem positiven Kulturwandel an den Hochschulen beigetragen. Es wird sich mehr und neu darüber verständigt, was ein Beitrag der Hochschulen zu Frieden, Nachhaltigkeit und Demokratie bedeuten könnte. An der Uni Köln zum Beispiel haben engagierte Physikstudierende zusammen mit Physik-Professoren und Dozenten die Diskussionsreihe „Physik und Ethik“ ins Leben gerufen, in der sie sich mit der Geschichte des eigenen Fachs, der Bedeutung, die engagierte Physiker wie Einstein in der Geschichte der letzten 100 Jahre hatten, sowie mit aktuellen Fragen wie der Kündigung des INF-Vertrags oder dem Kohleausstieg auseinandersetzen. Sie haben eine Unterschriftenkampagne gegen Nuklearwaffen an der Uni Köln initiiert. Ziel ist, dass die Universität dafür eintritt, dass die Bundesregierung endlich dem Atomwaffensperrvertrag beitritt.
Deutlich wird – auch anhand der Zivilklausel: Wer nicht einverstanden ist mit Konkurrenz und Jeder-gegen-jeden, wer mit seiner Arbeit zu einem menschlicheren Zusammenleben, zu mehr Aufklärung und Partizipation aller Menschen, zur Beendigung von Gewalt beitragen will – der ist nicht gestrig in den 70er-Jahren steckengeblieben, sondern liegt genau richtig.
Die Aktualität und politische Brisanz der Zivilklausel hat auch unsere aktuelle schwarz-gelbe Landesregierung begriffen. Genau deshalb will sie gerade jetzt die Zivilklausel aus dem NRW-Hochschulgesetz streichen. Sie will die Verpflichtung der Hochschulen, zu Nachhaltigkeit, Frieden und Demokratie beizutragen, abschaffen. Denn die Zivilklausel steht den Aufrüstungsplänen der Bundesregierung entgegen. Sie steht den Plänen von CDU/FDP entgegen, die Hochschulen zu Dienstleistern für RWE und Rheinmetall zu machen.
Gut ist, dass immer mehr auf den Tisch kommt, wie abwegig die politische Agenda von schwarz-gelb ist. Den Klimawandel zu stoppen, weltweite Abrüstung und eine umfassende Demokratisierung des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu verwirklichen, sind dringend erforderlich. Alle können neu erkennen, wie triftig und richtig es ist, dass die Hochschulen dazu beitragen. Im aktuellen Kampf um die Verteidigung der Zivilklausel im NRW-Hochschulgesetz steckt positiv die Möglichkeit drin, dass wir die Ambition, die Welt umfassend zu verändern, neu entfalten, in den Hochschulen und überall. Und es steckt drin, dass alle neu erkennen, dass Wahrheit, Humanität und Aufklärung die besten Waffen gegen den Geist der Waffen sind. So können wir den schwarz-gelben Spieß umdrehen.
Daran arbeiten wir. Einiges ist dabei schon erreicht: Zum Beispiel haben die Rektoren aller staatlichen Universitäten in NRW kundgetan, dass auch, wenn die Zivilklausel aus dem Gesetz gestrichen wird, die einzelnen Hochschulen ihre Zivilklausel behalten werden.
Vor kurzem haben wir eine Broschüre zur Zivilklausel herausgegeben. Unter dem Titel „Wissenschaft für Demokratie, Frieden und Nachhaltigkeit – Stimmen für den Erhalt der Zivilklausel im NRW-Hochschulgesetz“ positionieren sich Vertreterinnen und Verteter von Gewerkschaften, Friedensorganisationen, Umweltorganisationen, sozialer und antifaschistischer Bewegung, Wissenschaft und Kultur für den Erhalt der Zivilklausel. Gegen das Bündnis der Eliten kommt es auf ein Bündnis der Bevölkerung an, politisch ambitioniert und seiner Wirkungsmächtigkeit bewusst. Das hat schwarz-gelb nun davon. Ihr Versuch, die Zivilklausel zu streichen, ist bereits jetzt für sie nach hinten losgegangen, weil sie diejenigen, die sie klein machen wollen, erst recht zu neuer und produktiver Zusammenarbeit gebracht haben.
Enden möchte ich mit einem Zitat und einer Einladung. Zuerst die Einladung: An der Uni Köln veranstaltet der Arbeitskreis Zivilklausel seit ein paar Jahren Lesungen anlässlich des Jahrestages der Bücherverbrennung durch die Nazis 1933. Wir lesen aus den guten Büchern der Autorinnen und Autoren, die den Nazis dermaßen ein Dorn im Auge waren, dass sie sie nicht aushalten konnten und verbrennen mussten. In diesem Jahr finden die Lesungen, an denen sich alle beteiligen können, am Donnerstag, den 16. Mai statt. In den letzten Jahren wurde bei den Lesungen oft aus einem Briefwechsel zwischen Albert Einstein und Siegmund Freud vorgelesen, der unter dem Titel „Warum Krieg?“ veröffentlicht wurde. Daraus möchte ich zum Abschluss zitieren, weil es die Bedeutung der Bildung, der Aufklärung und der Kultur aufgreift:
Alles, was die Kulturentwicklung fördert, arbeitet auch gegen den Krieg.
Sigmund Freud, 1932.
In diesem Sinne wünsche ich uns allen einen guten Ostermarsch und viel Freude beim Eingreifen für Frieden und Verbesserungen im weiteren Jahr.