Ariane Dettloff vor Gericht in Cochem: „Ich klage an!“
Das Amtsgericht Cochem verurteilte unser Kölner Mitglied Ariane Dettloff am 12. Dezember 2018 zu dreißig Tagessätzen wegen Hausfriedensbruch auf dem Bundeswehrgelände Büchel / Eifel. Insgesamt sieben Menschen waren am 23. Juli 2018 in einer gut vorbereiteten Aktion zivilen Ungehorsams auf die Startbahn des Bundeswehrflugplatzes gegangen, um den Übungsbetrieb der dort stationierten Tornado-Kampfflugzeuge zu stören. Der Betrieb umfasst auch die US-Atombomben B61. Fünf der Ungehorsamen, darunter Ariane, wurden angeklagt und verurteilt. Die Angeklagten haben sich selbst verteidigt und gegen das Urteil Revision eingelegt.
Wir veröffentlichen im Folgenden Arianes Einlassung und das Schlusswort, die sie dem Richter vortrug, zum Nachlesen.
Weitere Hinweise zu Unterstützungsmöglichkeiten stehen am Ende der beiden Texte.
Einlassung von Ariane Dettloff:
Sehr geehrter Herr Richter, sehr geehrter Herr Staatsanwalt, liebe BesucherInnen und Unterstützende,
ich stehe hier als Angeklagte. Den Tatbestand, dass ich am 23. Juli ohne Erlaubnis des Militärs die Startbahn des Fliegerhorsts Büchel gemeinsam mit den hier mitbeklagten Freundinnen und Freunden betreten habe, bestätige ich ausdrücklich. Zugleich sehe ich mich allerdings als Klägerin.
Ich klage an:
Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland. Sie hatte zwar im 2009 beschlossenen Koalitionsvertrag versprochen, auf den Abzug der Atomwaffen aus Büchel hinzuwirken. Doch das ist nicht erfolgt – und zwar trotz des einhelligen Parlamentsbeschlusses dafür aus dem Jahr 2010. Auch die jetzige Regierung weigert sich, die sogenannte Nukleare Teilhabe aufzugeben. Ebenso weigert sie sich hartnäckig, den Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen zu unterzeichnen. Sie verstößt damit gegen das Grundgesetz Artikel 2, der lautet:
Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.
und ebenso verstößt sie gegen Artikel 3 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen. Er lautet:
Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.
Dies alles, obwohl der Internationale Gerichtshof in Den Haag in seinem Gutachten 1996 Atombomben generell als völkerrechtswidrig eingestuft hat.
Sie mögen dies alles als irrelevant ansehen, da für Sie die Regelwidrigkeit namens Hausfriedensbruch im Vordergrund steht. Ich erachte diesen aber als das geringere zu schützende Rechtsgut gegenüber den übergeordneten Werten Schutz von Leben und Gesundheit und dem friedlichen Zusammenleben der Völker.
Für meine Übertretung des Paragrafen 123 Strafgesetzbuch – „Hausfriedensbruch“ – mache ich mein Recht auf Notwehr geltend:
Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden
und
Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.
heißt es da. Meiner Auffassung nach ist unsere Regelübertretung als Aktion Zivilen Ungehorsams zur versuchten Abwendung eines vielfach größeren Unrechts angemessen.
Die Motivation für mein Handeln möchte ich hier auch lebensgeschichtlich erläutern:
Als Kriegskind habe ich – gerade mal ein Jahr alt – 1945 in Leipzig furchtbare Bombennächte erlebt. Im Keller bibbernd habe ich die geballte Angst meiner Eltern und ihrer Nachbarn und Nachbarinnen miterlebt. Ich kann mich zwar nicht bewusst daran erinnern, aber ich denke, dass mein unentwegtes Engagement für Frieden seit den frühen 80er Jahren damit zu tun haben könnte.
1984 bin ich in die damals ausdrücklich pazifistische Partei „Die Grünen“ eingetreten. Ich habe auf Kreis-, Landes- und Bundesebene mitgearbeitet. Doch die Entwicklung der Grünen zu einer kriegsbefürwortenden Partei hat mir gezeigt, dass der „lange Marsch durch die Parteien“ nicht zielführend ist, so dass ich gemeinsam mit dem gesamten Friedens-Arbeitskreis der Grünen Köln 1996 aus Protest gegen die Unterstützung des Jugoslawien-Kriegs durch Die Grünen meine Parteimitgliedschaft aufkündigte.
„Entrüstet Euch!“ und „Nach Rüstung kommt Krieg“ – diese Slogans bei unseren Demonstrationen gegen die US-Mittelstrecken-Atomraketen haben sich mir tief eingeprägt. Die Pershing 2-Raketen sind 1987 als Ergebnis des INF-Vertrages abgezogen und bis 1991 zerstört worden. Das war unter anderem sicherlich auch eine Folge unserer Proteste einschließlich Zivilen Ungehorsams unter anderen am Standort Mutlangen. Wie viele der Mitdemonstrierenden erinnerte ich mich an die Worte des früheren US-Präsidenten John F. Kennedy:
Die Menschheit muss dem Krieg ein Ende setzen, oder der Krieg setzt der Menschheit ein Ende.
Damit war der Atomkrieg gemeint, der uns auch aktuell akut bedroht.
Wie leicht es auch „zufällig“ dazu kommen kann, dass der hier ständig eingeübte Atomkrieg über uns hereinbricht, zeigen die Beinahe-Katastrophen der Jahre 1962 und 1983. Durch sein Verweigern der Zustimmung zu einem Atom-Torpedoabschuss während der Kubakrise verhinderte der sowjetische Marineoffizier Wassili Archipow vermutlich den 3. Weltkrieg. Und als die Computer dem sowjetischen Oberstleutnant Stanislaw Petrow 1983 fälschlich einen nuklearen Angriff aus den USA meldeten, entschied er sich dagegen, diesen Befund weiterzuleiten. Es ist nur dem regelwidrigen, nicht blind gehorsamen Handeln von Archipow und Petrow zu verdanken, dass uns ein Atomkrieg erspart blieb.
Die Doomsday-Clock, die Atomkriegsuhr der internationalen Atomwissenschaftler*innen (Atomic Scientists) zeigt heute nicht unbegründet auf zwei Minuten vor Zwölf. Denn US-Präsident Donald Trump will den INF-Vertrag aufkündigen – das ist der 1987 von Ronald Reagan und Michail Gorbatschow geschlossene Vertrag über den Abzug der Mittelstreckenraketen aus Europa.
Mehr als beunruhigend ist auch: Die Atombomben in Büchel, deren Einsatz deutsche Soldaten hier täglich üben, sollen aufgerüstet werden. Durch eine größere Zielgenauigkeit und variable Sprengkraft steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie tatsächlich zum Einsatz kommen. Was das bei einem unvermeidlichen atomaren Gegenschlag nicht nur für die Menschen in dieser Region einschließlich derer, die jetzt gerade hier sitzen und ihre Nachkommen, sondern auch weit darüber hinaus bedeuten würde, haben uns die schrecklichen Bilder und Geschichten aus Hiroshima und Nagasaki 1945 vor Augen und Ohren geführt.
Ich selbst habe drei Jahre lang in Japan gelebt und in der Stadt Hiroshima den Ginkgo-Baum bestaunt, der die Atomkatastrophe inmitten der totalen Zerstörung seiner Umgebung überlebt hat. Die Bilder der Hibakusha, der Atombombenopfer, die ich dort im Friedensmuseum sah, werde ich nie vergessen: wie sie mit herabhängenden Hautfetzen durch ein brennendes Inferno irrten, ihre schrecklich entstellenden Verbrennungen. Von einigen war nur noch ein eingebrannter Schemen in einer Wand übrig geblieben. Ich habe mit Überlebenden gesprochen.
Ich besuchte auch das Krankenhaus, in dem Sadako Sasaki 1955 als Zwölfjährige gestorben ist. Als Folge der radioaktiven Verstrahlung war sie an Leukämie erkrankt. Da sie fest an die Legende glaubte, wem es gelänge, 1000 Papier-Kraniche zu falten, dem werde ein Wunsch erfüllt, hatte sie mehr als 1000 solche Origami gebastelt. Doch sie musste sterben. In Köln, wo ich wohne, gedenken wir jedes Jahr am Mahnmal im Hiroshima-Nagasaki-Park ihres Todes und der Hunderttausenden weiteren Opfer. Ich habe den hier im Amtsgericht Cochem Versammelten ein paar Origami-Kraniche mitgebracht.
Angesichts des in Büchel fortgesetzt stattfindenden Verbrechens der Vorbereitung eines atomaren Erstschlags, wie er von der Nato vorgesehen ist, betrachte ich unseren Versuch, die Tornado-Startbahn des Fliegerhorsts Büchel zu einem Ort des Lebens zu transformieren, als durchaus angemessen. Schließlich bestimmt § 80 StGB:
Wer einen Angriffskrieg (…), an dem die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sein soll, vorbereitet und dadurch die Gefahr eines Krieges für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft.
Und unsere Verfassung sagt im §26:
Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.
Da dies nicht geschieht, sind Aktionen Zivilen Ungehorsams meiner Ansicht nach geradezu notwendig.
Ich sah mich bei unserer Behinderung einer Atomkriegsübung in der Tradition sowohl der englischen Suffragetten, die mit ihrem Zivilen Ungehorsam das Frauenwahlrecht erstritten, als auch der BürgerrechtlerInnen in den Vereinigten Staaten von Amerika, die gegen die dort geltenden rassistischen Gesetze verstießen, und fühlte ich mich inspiriert von einem Ausspruch des indischen Pazifisten Mahatma Gandhi:
Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt.
Auch hierzulande hat Ziviler Ungehorsam bereits einiges bewirken können: Die geplante atomare Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf wurde nicht gebaut, ebenso das geplante Atomkraftwerk in Wyhl. Eine – ungeeignete – Endlagerstätte für Atommüll in Gorleben konnte bis heute abgewendet werden, und das aktuelle Moratorium für die Rodung des Hambacher Waldes wäre wahrscheinlich ohne den beharrlichen Widerstand der Baumbesetzer*innen nicht zustande gekommen. Und wir als Mitglieder der Kampagne „Büchel ist überall – Atomwaffen abschaffen jetzt!“ haben 2017 als Mitgliedsorganisation von Ican, der International Coalition to abolish Nuclear War, den Friedensnobelpreis erhalten. Sie würden also mit einer Verurteilung Nobelpreisträger*innen für ihr Friedensengagement verdammen.
Ich wünsche mir mehr Ungehorsam gegen Unrecht in diesem Land. Und ich stimme Hannah Arendt zu, die infolge der Gräuel des Nazi-Regimes, die ohne die vielen Befehlsempfänger und Mitläufer nicht möglich gewesen wären, und ihrer Erkenntnis der „Banalität des Bösen“ beim Eichmann-Prozess in Jerusalem befand:
Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen.
Schlusswort von Ariane Dettloff:
Ich möchte mich dem ehemaligen Staatschef und Initiators der Beendigung des Kalten Krieges, Michail Gorbatschow anschließen. Er hat 1991 die Weltuntergangsuhr um zehn Minuten zurückgedreht, die jetzt fatalerweise wieder auf zwei Minuten davor vorgerückt ist.
„Die größte Gefahr“, so Gorbatschow zur Premiere des Dokumentarfilms „Meeting Gorbatschow“ von Werner Herzog am 29. Oktober dieses Jahres in Leipzig,
die größte Gefahr ist die Rückkehr zur Konfrontation, der Beginn eines neuen Wettrüstens. Man redet über den Atomkrieg inzwischen so, als wäre das etwas durchaus Denkbares, man bereitet sich darauf vor, es werden unterschiedliche Szenarien besprochen. Ich bin fest davon überzeugt, dass der neue Kalte Krieg gestoppt werden kann, und werde dafür alles unternehmen.
Für diesen Stopp ist die Ratifizierung des Atomwaffenverbotsvertrags, wie wir ihn mit Ican von der Bundesregierung fordern, unerlässlich. Und dazu gehört der Abzug der Atombomben aus Büchel.
Ich habe mich seit den frühen 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gegen Atomwaffen eingesetzt, denn wir wissen: „Nach Rüstung kommt Krieg“. Ein neuer Atomkrieg aber darf bei Strafe des Untergangs unseres Planeten nicht kommen. Ich werde nächsten Monat 75. Ich möchte nicht sterben, ohne alles mir Mögliche versucht zu haben, um das verhindern zu helfen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Ariane ist gerne bereit, in Schulen, Vereinen und Gruppen über ihren zivilen Kampf zu berichten. Terminanfragen richten Sie bitte an arianedettloff@ina-koeln.org.
Spendenkonto:
Kontoinhaber: Uwe Scholten
Verwendungszweck: Aktion Büchel 2018
IBAN: DE64 5235 0005 0000 7696 87
Bank: Sparkasse Waldeck-Frankenberg
HELADEF1KOR
Prozesstermine und weitere Hinweise: Ariane Dettloff zum Prozesstermin am 12. Dezember 2018