Krieg, Terror, Flucht und was Deutschland damit zu tun hat – Nachtrag zum Tanztheater der T E R R A R I S T I_x
Von Stefanie Intveen. Am 25. März 2018 führte die Gruppe T E R R A R I S T I_x unter der Leitung von Tim Čečatka bei strahlendem Sonnenschein auf dem Roncalliplatz in Köln das Tanztheater „Die Berechnung“ auf. Es war eine berührende Performance über den Zusammenhang zwischen Krieg, Drohnenterror und Flucht und ein eindringlicher Appell an die Menschlichkeit. TERRARISTI_x hatte uns eingeladen, die Performance mit einigen Fakten zu ergänzen. Es folgt hier das Skript meiner Rede über „Krieg, Terror, Flucht und was Deutschland damit zu tun hat“. Eine Version mit allen Quellenhinweisen zum Download findet sich am Ende dieses Beitrags.
Terror, Krieg, Flucht und was Deutschland damit zu tun hat
Vielen Dank, liebe TERRARISTI_x, für diese beeindruckende Aufführung!
TERRARISTI_x sind Tim Čečatka – künstlerischer Leiter und Choreograph
Alejandro Russo / Camila Scholtbach / Fuuko Shimazaki / Jonas K.K. Onny / Klaus Borkens / Lola Villegas-Fragoso – Tanz / Performance / Artistik
Esteban Vincenti – Dokumentation
L’Esprit du Temps – (Chris LeClou – Gitarre / Paul Fassbinder – Gesang)
Ich finde, Ihr habt noch einmal einen großen Applaus verdient!
Krieg ist kein gemütliches Thema für einen Familienausflug am Sonntag Nachmittag.
Für Entscheidungen über Krieg und Frieden sind bei uns Bundesregierung und Bundestag zuständig. Leider zeigen die Entwicklungen der letzten Jahre, dass die dafür zuständigen Institutionen es nicht geschafft haben, Deutschland aus Kriegen herauszuhalten.
Die Bundeswehr ist im Moment in fünfzehn Einsätzen und zwar in folgenden Ländern und Regionen: Kosovo, Afghanistan, Sudan, Südsudan, Mali, Irak, Syrien, Jordanien, Horn von Afrika, Mittelmeer, Westsahara, Libyen und Somalia. Einige Einsätze laufen unter einem UN-Mandat, andere sind über die NATO, bzw. EU mandatiert, einige sind als Ausbildungsmission deklariert, alle Einsätze sind in multinationale Verbände eingegliedert. Keines der genannten Länder hat jemals Deutschland angegriffen. Auch andere EU-Staaten oder die USA wurden von keinem dieser Länder angegriffen.
„Krieg gegen den Terror“
Was es gab, waren Terroranschläge, darunter die Attentate am 11. September 2001 in New York und Washington, denen mehr als 3.000 Menschen zum Opfer fielen. Die damalige US-amerikanische Regierung unter Präsident George W. Bush rief daraufhin den „Krieg gegen den Terror“ aus, und am 12. September 2001 erklärte die NATO den sogenannten Bündnisfall nach Artikel 5 des NATO-Vertrags. Der Angriff auf die Vereinigten Staaten wurde damit als Angriff auf alle NATO-Bündnispartner eingestuft. Seitdem befinden wir uns im Kriegszustand; die Regierungsfraktionen haben es bisher abgelehnt, sich in der NATO für die Beendigung des Bündnisfalls einzusetzen.
Dass die USA den „Krieg gegen den Terror“ wörtlich meinten, nämlich dass sie Krieg führen wollten, machten sie schnell deutlich. 2001 griffen sie mit NATO-Unterstützung Afghanistan an, stürzten die Regierung und besetzten das Land. 2003 belogen sie die Vereinten Nationen mit gefälschten Unterlagen über angebliche irakische Massenvernichtungswaffen, bombardierten mit einer so genannten Koalition der Willigen, darunter Großbritannien, den Irak, nahmen den Regierungschef Saddam Hussein fest und errichteten ein Besatzungsregime. Saddam Hussein wurde später vor einem irakischen Gericht zum Tod verurteilt und hingerichtet. Es folgten 2011 die Bombardierung Libyens mit dem Lynchmord an Staatschef Gaddafi und 2012 der verdeckte Krieg gegen Syrien mit dem bisher vergeblichen Versuch, auch die syrische Regierung zu beseitigen.
Die Idee, man könne Terror mit Krieg bekämpfen, ist vollkommener Unsinn. Aber so widersinnig die Sache von Anfang an war: jeder Krieg wurde seitdem mit Terrorbekämpfung begründet. Nicht nur die USA, sondern auch Regierungen in Europa, Russland und der Ukraine hantieren mit dieser Begründung, als sei es die normalste Sache der Welt anzunehmen, dass man mit der Bombardierung von Städten Terroristen oder gar den Terror an sich bekämpfen könne.
Besonders bedrückend ist, dass Frankreich nach den Anschlägen in Paris 2015 genauso argumentierte, wie George W. Bush 2001, und dass die Bundesregierung wie damals Solidarität mit dem attackierten Land nur in Form von gemeinsamen Kriegseinsätzen, nämlich gegen Syrien, anbot. Syrien hat mit den Pariser Anschlägen soviel zu tun wie Irak mit den Anschlägen vom 11. September: gar nichts. Im Übrigen hatte Frankreich schon zwei Monate VOR den Pariser Anschlägen begonnen, Ziele in Syrien zu bombardieren.
Der ehemalige CIA-Analyst Ray McGovern erklärte 2015 bei einem Vortrag hier in Köln, Terroristen könne man nicht durch Krieg bekämpfen; wenn man eine Mückenplage bekämpfen wolle, würde man ja auch nicht jede einzelne Mücke einfangen, sondern lieber den Sumpf trockenlegen. Wenn die Bundesregierung also tatsächlich den Terror bekämpfen will, muss sie sich mit dessen Ursachen beschäftigen.
Eine zentrale Ursache des Terrors ist ja der Krieg selbst: die serienmäßige Beseitigung von Regierungen, das Anheizen innerer Konflikte, die Bombardierung ganzer Städte aus sicherer Entfernung durch weit überlegene Luftstreitkräfte oder durch Marschflugkörper, die von Schiffen oder U-Booten abgeschossen werden, oder die Ermordung von Menschen in abgelegenen Regionen, indem man Lenkwaffen von ferngesteuerten Drohnen auf sie abfeuert. Das Kriegsrecht, die unbedingte Schonung von Zivilisten, die Versorgung von Flüchtenden, die Verhandlungsbereitschaft, die Verhältnismäßigkeit der Mittel – das spielt kaum eine Rolle bei dem modernen Krieg gegen den Terror.
Als die Bundesregierung die „Befreiung“ der irakischen Großstadt Mossul von den IS-Terroristen im letzten Jahr feierte, vergaß sie zu erwähnen, dass bei der „Befreiung“ Tausende Bewohner der Altstadt Mossuls durch Bomben der Allianz gegen den Terror ums Lebens kamen, weil ihnen keine Fluchtmöglichkeit gegeben wurde und die Bombardierung stattfand, obwohl man genau wusste, dass die Stadt voller Menschen war.
Flucht / Syrien
Die meisten Flüchtenden kommen aus Syrien, Irak und Afghanistan, aus den Ländern, in denen Krieg herrscht. 66 Mio. Menschen befinden sich nach Angaben der Vereinten Nationen auf der Flucht. Nur ein Bruchteil von ihnen ist in die EU gelangt. Die überwältigende Anzahl der Vertriebenen befindet sich im eigenen Land oder versucht, in unmittelbar angrenzenden Staaten zu überleben. Von den etwa 21 Mio. Syrern wurden 11 Mio. vertrieben; 5 Mio. harren in den Nachbarländern aus, darunter vor allem in der Türkei (über 3 Mio.) und dem Libanon (über 1 Mio.). Jeder dritte Syrer ist unter 15 Jahre alt, mehr als die Hälfte aller Syrer sind unter 25 Jahre alt.
Wir lesen und hören immer noch von dem „syrischen Bürgerkrieg“. Das ist schon seit 2012 falsch; die zunächst friedlichen Proteste wurden 2011 gewaltsam niedergeschlagen. Wann genau die Einmischung der westlichen Staaten in die inneren Angelegenheiten Syriens einsetzte, werden Historiker hoffentlich irgendwann klären. Jedenfalls gründete sich schon im Februar 2012 unter Führung Frankreichs die sog „Gruppe der Freunde des syrischen Volkes“. Dazu gehörten die USA mit ihren Verbündeten einschließlich der Türkei und die Golfstaaten. Das Ziel der Gruppe war der Sturz der syrischen Regierung. Dazu verhängte man Sanktionen gegen Syrien, überzog Präsident Assad mit Hitler-Vergleichen und Ähnlichem, baute in Istanbul eine Opposition aus Exilsyrern auf und lieferte spätestens seit Anfang 2012 Waffen an oppositionelle syrische Milizen.
Man muss sich das mal aus anderer Perspektive ansehen: angenommen, die Proteste um den Braunkohleabbau in Garzweiler würden von unserer Polizei brutal niedergeschlagen, es gäbe Gegengewalt und erste Tote; dann würden Belgien, die Niederlande und Großbritannien – anstatt zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln – eine deutsche Oppositionsregierung in London aufbauen und Waffen und militärische Informationen an die Protestierenden liefern – wie würden wir das finden?
Deutschland war und ist Teil dieser Interventionsgruppe der „Freunde des syrischen Volkes“. Die Bundesmarine und der Bundesnachrichtendienst waren nach Medienberichten im August 2012 vor der syrischen Küste und versorgten die syrischen oppositionellen Milizen – indirekt über das britische und das US-Militär mit militärischen Informationen. Das war mehr als zwei Jahre, bevor der Bundestag der Bundeswehr völkerrechtswidrig das Mandat erteilte, in Syrien den islamistischen Terrorismus zu bekämpfen. Ein Mandat zum Sturz der syrischen Regierung hat der Bundestag der Bundeswehr nie erteilt, aber Bundeskanzlerin Merkel hält daran fest, dass Assad „wegmuss“.
Die Seite www.airwars.org zählt die offiziell gemeldeten Angriffe der Anti-IS-Koalition auf irakischem und syrischen Gebiet. Heute waren es insgesamt 29.178 Angriffe, darunter 14.991 in Syrien. Insgesamt wurden 106.835 Bomben und Raketen von Koalitionstruppen eingesetzt. Dabei schätzt die Koalition, dass mindestens 6.238 Zivilisten durch ihre Angriffe ums Leben kamen. Das sind die offiziellen Zahlen.
Drohnenkrieg / Widerstand auf juristischem Wege
Seit 2001 setzen die USA Drohnen ein, um Menschen zu töten, die sie des Terrorismus verdächtigen. Mit Drohnen werden Menschen u. a. in Afghanistan, Pakistan, Somalia oder im Jemen getötet. Die Berliner Anwaltskanzlei ECCHR schreibt wie folgt:
„Außerhalb bewaffneter Konflikte – also auch im Jemen – sind Tötungen mittels Drohnenangriffen strafrechtlich als Mord einzustufen, für den es keine Rechtfertigungsgründe gibt. Menschenrechtlich wird (…) gegen das Recht auf Leben der Betroffenen verstoßen.
Doch auch im bewaffneten Konflikt dürfen nur Personen angegriffen werden, die aktiv für eine Konfliktpartei an Kämpfen teilnehmen. Es darf also nicht jedes Mitglied einer Konfliktpartei per se getötet werden. Diesen Grundsatz aus dem Humanitären Völkerrecht missachten die USA. In ihrer Politik und Praxis definieren die USA viel größere Personenkreise als legitime militärische Ziele. Das höchste Gebot im Humanitären Völkerrecht ist, Zivilisten unter allen Umständen zu schützen.“
„Immer mehr Staaten weltweit nutzen bewaffnete Drohnen, um Luftschläge zu jeder Zeit und an jedem Ort durchführen zu können. Damit verändert sich die Kriegsführung schwerwiegend und nachhaltig. Die USA beispielsweise haben seit 2009 ihr globales Drohnenprogramm so stark ausgeweitet, dass inzwischen tausende Menschen bei Drohnenangriffen getötet worden sind. Dabei nutzen die USA Stützpunkte und Stationen unter anderem in Ramstein (Deutschland), Sigonella (Italien), Afghanistan, Pakistan, Irak, Türkei, den Vereinigten Arabischen Emiraten und anderen Golfstaaten, Dschibuti, Tunesien und Niger.
Der Drohnenkrieg der US entwickelt sich (…) zum Modell. Weitere Staaten planen oder haben bereits damit begonnen, ähnliche Programme zu etablieren. (…) Weltweit formiert sich aber auch Widerstand: Betroffene, Jurist*innen, Aktivist*innen, Journalist*innen und viele andere arbeiten gemeinsam daran, dem globalen Drohnenkrieg ein Ende oder zumindest Grenzen zu setzen.“
In Köln fand im Mai 2015 hierzu eine Gerichtsverhandlung statt.
„Bei einem Drohnenangriff im Sommer 2012 wurden drei Mitglieder der Familie Bin Ali Jaber getötet, viele der Überlebenden sind seit dem Angriff traumatisiert. Die Familienmitglieder, denen zu keinem Zeitpunkt eine Nähe zu Terroristen unterstellt wurde, waren in der Region aktiv gegen al-Qaida aufgetreten. Eingebunden in den Angriff war die US-Militärbasis Ramstein in Deutschland. Über Ramstein leiten die USA via Satellit Daten zu den Drohnen weiter, ein Teil des Einsatzteams wertet Echtzeitbilder der Drohnen aus und unterstützt die Piloten bei den gezielten Tötungen. Die Bundesregierung weist jede Verantwortung für den Tod von Zivilisten im US-Drohnenkrieg zurück.“
Die Familie Jaber hat mit Unterstützung der Berliner Kanzlei die Bundesregierung verklagt. Das Verwaltungsgericht Köln ließ die Klage zu und bestätigte die zentrale Rolle Ramsteins für den US-Drohnenkrieg. Die Anwälte fassen zusammen:
„Das Gericht erkannte die Klage als zulässig an, da das Grundgesetz Deutschland verpflichtet, auch das Leben von Ausländern im Ausland zu schützen, sofern sie vom Handeln deutscher Behörden betroffen sind. Doch in die Außenpolitik wollten sich die Richter nicht einmischen und räumten der Bundesregierung einen sehr weitgehenden Handlungsspielraum ein, der sie letztlich von einer gerichtlichen Kontrolle entbindet.“
Die jemenitischen Kläger und ihre Anwälte haben Berufung eingelegt. Das Verfahren ist beim Oberverwaltungsgericht für Nordrhein-Westfalen in Münster anhängig.
Bundesregierung
Die Regierungsfraktionen haben im Koalitionsvertrag formuliert: „Autonome Waffensysteme, die der Verfügung des Menschen entzogen sind, lehnen wir ab. Wir wollen sie weltweit ächten.“ Daraus wurde schon voreilig der Schluss gezogen, die Bundesregierung wolle keine Kampfdrohnen anschaffen. Das ist nicht damit gemeint, denn die im Moment verwendeten Kampfdrohnen sind nicht autonom – die Entscheidung über den Einsatz trifft bisher immer ein Mensch, kein Roboter. Aber die Bundestagsfraktionen haben immerhin bestätigt, dass sie die ethischen und rechtlichen Fragen VOR einer Beschaffung bewaffnungsfähiger Drohnen klären wollen.
Was kann man jetzt tun? Was fordert die Friedensbewegung?
Informieren Sie sich! Hier in Köln sind viele Friedensgruppen aktiv. Gehen Sie beispielsweise auf www.friedenkoeln.de.
Nehmen Sie an einem der Ostermärsche teil!
Rufen Sie Ihre Bundestagsabgeordneten an und machen Sie klar, dass Deutschland sich für die Bewahrung des Friedens mit friedlichen Mitteln einsetzen soll! Protestieren Sie gegen den Unsinn des „Kriegs gegen den Terror“!
Unterstützen Sie die „Stopp-Ramstein“-Kampagne!
Wir fordern ein andere Politik:
- Entspannungspolitik statt Drohung,
- Dialog auf allen Ebenen statt Abbruch diplomatischer Beziehungen,
- Abrüstung statt Aufrüstung,
- Ende der Waffenexporte, sofortiger Stopp von Rüstungsexporten an Konfliktparteien,
- völkerrechtliche Ächtung von Kampfrobotern
- Schließung der für den US-Drohnenkrieg zentralen Relaisstation auf der US-Air Base in Ramstein
- Keine Beschaffung bewaffnungsfähiger Drohnen für die Bundeswehr!
Bertha von Suttner, die Mitgründerin der Deutschen Friedensgesellschaft, schrieb 1914 an einen pazifistischen Frauenverband:
„All dem Elend muss man ins Gesicht sehen, aber nicht, um es als Unglück zu beklagen, sondern als Schlechtigkeit anzuklagen! Denn es ist keine Elementarkatastrophe, es ist das Ergebnis menschlichen Irrwahns und menschlicher Fühllosigkeit. (…) Also liebe Schwestern, ans Werk und seid standhaft! Montecuculi sagte: „Zum Kriegführen braucht man Geld, Geld und wieder Geld.“ Ich will nicht sagen, dass wir das Ding zu unserer Kampagne nicht auch gut brauchen könnten; aber die Hauptsache ist doch: Ausdauer, Ausdauer und noch einmal Ausdauer!“
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen schönen weiteren Sonntag! Bleiben Sie friedlich!